Hurra, wir leben noch
Preis von vor 1939 berechnet, nicht zum gegenwärtigen Schwarzmarktpreis. Ein deutsches Gericht treibt keinen Schwarzhandel, üb immer Treu und so weiter …
»… so war das, mein Junge!« schloß Wenzel seinen Bericht im Notfall-Kämmerchen der Caritas-Baracke. Er sah Jakob an. »Was ist mir übriggeblieben? Mein Studium hab’ ich nicht vollendet. Gelernt hab’ ich nichts. Also blieb nur der Schwarzmarkt, und da hab’ ich mich auf Kaffee geworfen. Was Besseres gibt’s nicht für einen wie mich.«
»Doch«, sagte Jakob.
»Was?« fragte Wenzel.
»Eier«, sagte Jakob. Und erzählte dem Kleinen ein wenig von seinen großen Plänen. Der war beeindruckt.
»Das klingt nicht schlecht, mein Junge.«
»Willst du mit mir zusammenarbeiten?«
»Halbe-halbe.«
»Nix halbe-halbe. Du kriegst genug, ich bin nicht kleinlich. Später gibt’s auch Gewinnbeteiligung. So einen Rechtsverdreher wie dich brauch’ ich jetzt.«
»Na schön. Du wirst aber auch noch andere Leute brauchen – wenn du viele Hühner hast. Da gibt’s einen Haufen zu malochen!«
»Weiß ich.«
»Und Geld! Und unser Geld ist doch nur noch der Dreck vom Dreck!«
»Unseres, ja. Dollars sind auch Dreck, eh?«
Dem Kleinen stand der Mund offen. »Hast du Dollars gesagt?«
»Hab’ ich gesagt«, antwortete Jakob und gedachte herzinniglich des Werwolfs, des Arnusch Franzl und des Geschäfts, das er mit ihnen vorhatte.
33
»Dem Robert haben sie sein Fahrrad geklaut.«
»Der hat doch gar keins gehabt!«
»Doch. Onkel Franz hat ihm eins verkauft.«
»Und wann ist es geklaut worden?«
»Gestern nachmittag.«
»Wo?«
»Am Stachus. Er hat Emil rasch die Butter bringen wollen.«
»Okay, was kann ich für Sie tun?« fragte daraufhin der bleiche, hohlwangige Buchbinder Josef Mader in einem Haus an der Schellingstraße, besser: im Keller eines Hauses, das es einmal an der Schellingstraße gegeben hatte. Den Keller gab es noch. Jakob stand dem Buchbinder in dessen Kellergeschäft gegenüber. Es roch nach Papier, Leim und Schweineschmalz. Schon die ganze Zeit während des Idioten-Dialogs hatte Jakob von den drei Gerüchen der nach Schmalz am meisten tangiert. Das Wasser war ihm zusammengelaufen im Munde. Herr Mader hatte Schmalz in dem seinen. Auf einem Stück Brot vermutlich. Er schien gerade Pause gemacht zu haben, als Jakob gekommen war, und hatte ein wenig undeutlich gesprochen. Schmalzbrot – das hatte Jakob seit Kindesbeinen am liebsten gegessen.
Die Fenster des Geschäfts befanden sich nahe der Decke des Gewölbes. Ab und zu sah man ein Paar Unterschenkel in Schuhen und Hosen vorübergehen. Durchlöchert, zerfetzt. Die Schuhe und Hosen. Schmalzbrot frißt der Kerl, dachte Jakob voll verzehrender Sehnsucht. Nach einem so großen Krieg. Und weiche keinen Fingerbreit … Ich deliriere ja schon, das gehört ganz woandershin, ich muß mich zusammenreißen!
Jakob überwand einen heftigen Anfall von Schwindel und schüttelte dem Schmalzbrotesser die Hand. Dann sagte er, daß er von Mrs. Fletcher komme.
»Das habe ich schon an dem Spruch gemerkt, den wir da aufgesagt haben von Robert und dem geklauten Fahrrad. Sie müssen das Theater verstehen«, sprach Mader, Jakob mitten ins Gesicht (richtiges Schweineschmalz, dachte er … von Gottes Wegen ab), indem er einen Arm um des Besuchers Schulter legte, »aber ich muß vorsichtig sein. Wir leben in gefährlichen Zeiten. Und da geht’s nicht ohne ein gutes Erkennungszeichen.«
»Wem sagen Sie das, Herr Mader?« antwortete Jakob (dem seine Hilde-Laureen den Erkennungs-Dialog beigebracht hatte) und dachte: Wenn der Kerl endlich runterschlucken würde, damit ich das Schmalz nicht mehr riechen muß!
Der Kerl versperrte die Eingangstür des Ladens, hängte ein KOMME GLEICH WIEDER -Schild daran und schluckte endlich. Gott sei Dank, dachte Jakob. Hat es eigentlich schon mal einen Schmalzbrot-Lustmord gegeben? Der Buchbinder ging zu einer Wand mit Stellagen. Ein Regal schwang zurück, nachdem Mader auf den Lederrücken eines Buches des Dichters Heinz Steguweit (der gerade verboten worden war) gedrückt hatte. Jakobs Blicken bot sich ein großes Hinterzimmer.
»Bitte, kommen Sie weiter«, lud Herr Mader ein. Jakob trat in das Hinterzimmer, das ebenfalls mit Bücherregalen bestückt war. Mader drückte auf den Lederrücken des ›Kapital‹ von Karl Marx (das gerade wieder erlaubt war). Das Regal schwang zurück und rastete mit lautem Klick ein. Jakob sah sich um. In dem zweiten Raum befanden sich Druck-,
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