Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
Gepäckträger geschnallt, war unrasiert, trug die Haare im Herrenschnitt und hatte ein freundliches Lächeln bereit für jedermann, der ihr nachstarrte, und das waren gar viele.
    Auf der Hauptstraße versuchte ein amerikanischer Soldat, die Dame anzuhalten. Sie rief: »Leck mich doch am Arsch!« und sauste mit erhöhter Geschwindigkeit weiter. Endlich erreichte die Dame, keineswegs außer Atem, obwohl sie zuletzt steil bergauf gefahren war, das Anwesen des Attinger-Bauern. Im Eingang zum Hauptgebäude, vor dem eisigen Wind geschützt, wartete hier Frau Dr. Ingeborg Malthus.
    »Was war?« fragte sie besorgt.
    »Was soll gewesen sein?« fragte Jakob Formann, elegant ein Bein schwingend und noch einmal das lachsrote Spitzenhöschen in ganzer Pracht zeigend.
    »Ich habe geglaubt, Sie kommen niemals.«
    »Jakob Formann kommt immer«, erwiderte er ernst. »Wollen wir vielleicht hineingehen? Dein Höschen ist verflucht eng für mich, Ingelein.«
    Sie erstarrte. »Mein Herr«, sagte sie dann mit Eisesklirren in der Stimme, »ich muß doch sehr bitten, nicht derart leutselig zu werden. Ich heiße Frau Doktor Ingeborg Malthus – und immer noch ›Sie‹ für Sie, Herr Formann!«
    »Aber …«
    »Aber was? Ach so! Reichlich primitiv veranlagt sind Sie, Herr Formann. Eine mehrfache Ausschüttung von Hypophysenhormon rechtfertigt in keiner Weise derart plumpe Vertraulichkeit. Ich muß doch schon sehr bitten.«
    »Mehrfache was?«
    »Ausschüttung von Hypophysenhormon. Sie werden doch noch wissen, was die Hypophyse ist, Herr Formann.«
    »Klar weiß ich das«, sagte Jakob. Keine Ahnung hatte er. Es muß aber irgendwas zu tun haben mit dem, was wir getrieben haben, dachte er voll feinem Instinkt. Du Luder, du elendes, dachte er weiter, und vor zwei Stunden hast du dich gewälzt und gestöhnt und mich in die Schulter gebissen. Das haben wir gerne! Scheint mich nicht zu mögen, die Frau Doktor.
Außerhalb
des Bettes! Verdammt, ich weiß genau: Mit der Person werde ich noch eine Menge Ärger kriegen! Jakob sagte: »Aber gewiß, verehrte Frau Doktor, wenn Sie meinen, es soll beim ›Sie‹ bleiben, dann bleibt es natürlich dabei.«
    »Danke.«
    »Nichts zu danken, Frau Doktor Malthus.« Mir ist manches schon passiert, aber so etwas noch nie!
    »Kommen Sie, Herr Formann«, sagte die Frau Doktor und betrat das Bauernhaus. Hier war es herrlich warm, in der Küche stand ein mächtiger Kachelherd. Der Bauer saß am Tisch und starrte Jakob an. Die Bäuerin stand am Herd und stieß einen Schrei aus.
    »Grüß Gott«, sagte Jakob Formann, gewinnend lächelnd. Auch Frau Dr. Malthus – sie trug Pullover, Hosen und einen Schafsfellmantel – entbot einen christlichen Gruß.
    »Was is denn nacha dös?« fragte der Bauer. Er war ungeheuer fett und trank angeekelt dünnen, grünlichen Tee.
    »Das ist Herr Jakob Formann, Herr Attinger … Herr Attinger, Herr Formann. Und das ist Frau Attinger.«
    »Grüß Gott«, sagte Jakob wiederum.
    »Er ist in den Staffelsee gefallen«, erklärte Frau Dr. Malthus. »Ich mußte ihm etwas von mir zum Anziehen geben. Seine Sachen will ich bei Frau Kalder trockenbügeln. Dürfen wir hinaufgehen?«
    »So kann er fei net weita rumlauffa, der Herr!«
    »Ich danke, Herr Attinger.« Jakob verbeugte sich. (Der Schottenrock ging wieder auf bis zum Höschen. Die Attinger-Bäuerin kreischte.) Jakob sah, daß der große Raum mit teuersten Orient-Teppichen ausgelegt war. Im Hintergrund erblickte er einen Bechstein-Flügel und eine Maria-Theresia-Kommode mit wunderschöner Intarsienarbeit. Kultivierte Leute, diese Attingers! Und fett, großer Gott, sind die beiden fett, dachte Jakob und erkundigte sich: »Schmeckt der Tee nicht?«
    »Himmikreuzsaggramentglumpvarecktz, i kriag’n kaum nunter. Aber mei Frau sagt, es muaß sei.«
    »Worum handelt es sich denn?«
    »Dokta Schlichters Frühstücks-Kräutatee! Das Beste, was gibt zum Abmagern, hat der Arzt gesagt.«
    »Übergewicht ist stets schlecht für Herz und Kreislauf«, sagte Frau Dr. Malthus.
    »Des is ja«, sagte die Attinger-Bäuerin.
    Jakob schritt schon, den Rock gelüpft, die knarrende Holztreppe in den ersten Stock empor. Die Schuhe quatschten. Jakob hinterließ eine feuchte Spur.
    »Dritte Tür links«, sagte Frau Dr. Malthus. Sie trug ebenfalls ein Bündel. Nun ging sie voraus, klopfte, nannte ihren Namen, und gleich darauf stand sie mit Jakob in einem Raum, in dem es eiskalt war. Jakob sah ein dick zugefrorenes Fenster, einen Schrank, einen Tisch, ein

Weitere Kostenlose Bücher