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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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kommen hörte.
    Es stellte
sich heraus, dass es Jessies Mutter war, eine rundliche Mittdreißigerin mit gestyltem,
gespraytem dunkelblondem Haar. Ihre Miene setzte mich augenblicklich davon in Kenntnis,
dass es um eine Angelegenheit von großer Bedeutung ging. Weder Jessies Mutter noch
anscheinend Jessie selbst hatten meine Art von Lyrik-Kurs
erwartet. Sie war darauf aufmerksam geworden, dass ich den Mädchen ein Gedicht von,
tiefes Atemholen, «D. H. Lawrence» gegeben hatte. Schon der Name des Schriftstellers
verhieß anscheinend Gefahr für die bisher unbestäubten Blumen Bondens. Als ich erklärte,
dass «Die Schlange» ein Gedicht über einen Mann sei, der das Tier aufmerksam beobachte
und sich schuldig fühle, es aufgescheucht zu haben, bekam sie fast eine Kiefersperre.
«Wir haben unsere Überzeugungen», sagte sie. Die Frau sah nicht dumm aus. Sie sah
gefährlich aus. In Bonden konnte sich ein Gerücht, eine Klatschgeschichte, sogar
eine glatte Verleumdung mit übernatürlicher Geschwindigkeit verbreiten. Ich beruhigte
sie, indem ich meine Hochachtung vor jeglichem Glauben beteuerte - eine glatte Lüge
-, und gegen Ende unseres Gesprächs hatte ich das Gefühl, sie beschwichtigt zu haben.
Einen Satz habe ich jedoch behalten: «Gott missbilligt das, sage ich Ihnen. Er missbilligt
es.» Ich sah ihn, Mrs. Lorquats eigenen Gottvater, den Himmel füllen, ein glattrasierter
Bursche in Anzug und Krawatte, mit zusammengezogenen Augenbrauen, unerbittlich streng,
ein völlig humorloser Liebhaber der Mittelmäßigkeit. Gott als Inbegriff des amerikanischen
Kritikers.
    Als ich nach
Alice ausschaute, war sie verschwunden.
    Ich gestehe
jetzt, dass ich mit Mr. Niemand schon eine Korrespondenz aufgenommen hatte. Als
Antwort auf meine Frage, wer er sei und was er wolle, hatte er geschrieben: «Ich
bin irgendeine Deiner Stimmen, such sie Dir aus, eine Orakelstimme, eine Plebejerstimme,
eine Redner-für-die-Ewigkeit-Stimme, eine Jungenstimme, eine Mädchenstimme, ein
Bellen, ein Heulen, ein Zwitschern. Verletzend, zärtlich, wütend, lieb, bin ich
die Stimme aus dem Nirgendwo, die gekommen ist, zu Dir zu sprechen.»
    Getrieben von
meiner Einsamkeit, einer besonderen Art von schmerzhafter geistiger Einsamkeit,
fiel ich darauf herein. Boris war mein Mann gewesen, aber auch mein Gesprächspartner.
Wir lernten voneinander, und ohne ihn hatte ich niemanden mehr, mit dem ich verbal
tanzen konnte. Ich schrieb Dichterfreunden, aber die meisten waren genauso in die
Welt der Dichtung eingesperrt, wie die meisten von Boris' Kollegen im Elfenbeinturm
der Neuronen lebten. Dieser Niemand war geistig rege und beweglich. Er sprang, ohne
Luft zu holen, von Leibniz' Monadologie über Heisenberg und Bohr in Kopenhagen zu
Wallace Stevens, und trotz seiner Überdrehtheit fühlte ich mich gut unterhalten
und schrieb zurück, überfiel ihn mit Widerspruch und ausufernden Argumenten. Er
war ein knallharter Antimaterialist, so viel las ich heraus. Er spuckte auf Physikalisten
wie Daniel Dennett und Patricia Churchland und warb für eine post-Newton'sche Welt,
die die Substanz im Staub hinter sich gelassen hatte. Als intellektueller Allesfresser,
der sich an die Grenzen seines eigenen rotierenden Geistes gedrängt zu haben schien,
war er zwar nicht ganz bei Trost, aber er unterhielt mich gut. Wenn ich ihm schrieb,
sah ich immer ein Bild von Leonard vor mir. Die meisten von uns brauchen schließlich
ein Bild, einen Jemand, den sie sehen, und so kam es, dass ich Mr. Niemand ein Gesicht
gab.
    In jener Nacht
träumte mir, ich erwachte in dem Schlafzimmer mit dem Buddha auf dem Schrank, in
dem ich schlief. Ich stand auf, und obwohl das Licht schwach war, bemerkte ich,
dass die Wände nass waren und glänzten. Ich berührte die feuchte Oberfläche mit
den Fingern, steckte sie in den Mund und schmeckte Blut. Dann hörte ich im Zimmer
nebenan ein Kind schreien. Ich stürzte hinein, sah ein Bündel weißer Lumpen auf
dem Boden und zog daran, um die Stoffe zu entwirren und das Kind freizulegen, doch
alles, was ich fand, waren noch mehr Hüllen. Ich wachte schwer atmend auf. Ich wachte
in dem Zimmer auf, in dem der Traum angefangen hatte, aber die Geschichte hörte
nicht auf. Ich hörte Schreien. Schlief ich etwa noch? Nein. Mein Herz raste, als
mir klarwurde, dass das Geräusch von nebenan kam. O Gott, dachte ich, Pete. Ich
warf einen Morgenmantel über und hastete durch den Garten. Ohne anzuklopfen oder
zu klingeln, stürzte ich hinein.
    Da war eine
Flora ohne

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