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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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auf. Ich glaube,
er wollte so ein süßes kleines Ding ...» Lola sprach den Satz nicht zu Ende. «Er
macht sich Sorgen, dass irgendwas mit ihr nicht in Ordnung ist, Hyperaktivität oder
so.»
    Flora war damit
beschäftigt, Giraffi ein ziemlich unsanftes Bad zu verpassen. Sie kniete in dem
Planschbecken, schleuderte sie hoch und runter und sang: «Da, da, Giraffili, buh.
Bumba, bumba! Baby, du!» Dann ließ sie Giraffi kopfunter im Wasser treiben und begann
ein neues Spiel — stützte sich, nach hinten gelehnt, auf den Ellbogen ab und strampelte
fest genug, dass mir das Wasser auf die Beine spritzte. «Schau mal, Mom! Guck mal,
Mom! Guck mal, Mia!»
    Mein Eindruck
von Pete wurde immer schlechter. Was für ein Idiot!
    Petes Sohn
rekelte sich wach. Er fuchtelte sich mit seinen Fäustchen vor dem Gesicht herum,
streckte die Beine und die Wirbelsäule, und als ich ihn dann kurz darauf im Arm
hielt, war er vollständig munter, und seine dunklen Augen, wie Kerne, fixierten
sich auf meine. Ich streichelte den Flaum auf seinem Kopf, untersuchte seinen schmollenden,
grimassierenden Mund. Ich sprach zu ihm, und er antwortete mit leisen Lauten. Nicht
lange darauf drehte er sich und fing an, nach Nahrung zu wühlen, und ich verspürte
den Schatten einer vertrauten Empfindung in meinen Brüsten, eine körperliche Erinnerung.
Ich reichte ihn Lola. Sobald ihr Sohn gemütlich nuckelte, sah sie zu mir herüber
und sagte: «Als ich schwanger wurde, wollte er sie zuerst nicht. Die Hochzeit war
schon geplant, daran lag es nicht. Es war einfach zu früh für ihn.» Lola lehnte
sich auf ihrem Stuhl zurück. «Pete ist ein ängstlicher Mensch. Auch das wusste
ich. Er hatte eine ältere Schwester, bei der eine Menge nicht in Ordnung war, als
sie auf die Welt kam; sie war richtig zurückgeblieben. Sie mussten sie in ein Heim
geben. Sie lernte nie gehen oder sprechen oder sonst was. Mit sieben starb sie.
Pete spricht nicht gern darüber.» Lola überprüfte ihren Nagellack. «Ihr Vater hat
sie nie besucht, nicht ein einziges Mal. Für seine Mom war das Ganze wirklich schrecklich.
Kannst du dir sicher vorstellen.»
    Das konnte
ich. Ich schaute zu den Wolken auf, ein dichtes Zirrengeflecht, und während ich
beobachtete, wie dort oben ein Kopf, von dem lange Haare strömten, ganz langsam
von einem dünnen, langgezogenen Hals wegbrach, wurde mir klar, dass mir Pete, der
wütende Nichtsnutz, lieber gewesen war als dieser neue Mensch, der junge Mann mit
der toten Schwester.
    Vielleicht
war es die allgemeine Leere des Ausblicks — Mais und Himmel. Vielleicht war es die
Hitze, meine stille Verzweiflung oder bloß ein Bedürfnis, die heillos langweilige
Gegenwart mit Schwatzen und Schwadronieren auszufüllen, aber als Lola mich nach
dem Leben in New York fragte, unterhielt ich sie mit einer Geschichte nach der anderen
und lauschte ihrem Lachen. Ich hob das Derbe, das Laszive und das Ausgefallene hervor.
Ich verwandelte die Stadt in einen Nonstop-Karneval von Poseuren, Profitmachern
und Clowns, deren Reinfälle und Eskapaden für beste Unterhaltung sorgten. Ich erzählte
ihr von Charlie und Wayne, zwei Dichtern, die sich im Zuge einer ausgedehnten Saufeskapade
fast wegen Ezra Pound in die Haare gerieten, den Streit schließlich aber mit einem
prosaischen Pinkelwettstreit auf dem Dach eines Gebäudes in SoHo beilegten. Ich
erzählte ihr von Miriam Stalk, der alternden Erbin mit dem großen Geld, den kleinen
Brüsten, dem chirurgisch gestrafften Gesicht und den Hermes-Taschen, die ihrem Namen
gerecht wurde, indem sie sich an auf ihr Geld erpichte junge Wissenschaftler heranmachte
und ihnen süße Wichtigkeiten ins Ohr hauchte: «Wie viel, sagten Sie, würde das
Forschungsprojekt kosten, das Sie beantragt haben?» Ich erzählte ihr von meinem
Freund Rupert, der auf halbem Weg durch eine Geschlechtsumwandlung innehielt und
entschied, zwei in einem sei das Richtige. Ich erzählte ihr von dem achtzigjährigen
Milliardär, neben dem ich bei einem Fundraising-Dinner saß, der furzte und stöhnte,
furzte und stöhnte und der während des ganzen Essens nichts tat als furzen und stöhnen,
als säße er allein zu Hause auf der Toilette. Ich erzählte ihr von meinem obdachlosen
Kumpel Frankie, dessen Kinder, Geschwister, Cousinen, Tanten und Onkel im Rhythmus
von zwei pro Woche starben, nachdem sie sich exotische und seltene Krankheiten zugezogen
hatten wie Skorbut, Lepra, Dengue-Fieber, Klinefelter-Syndrom, Leptospirose, tödliche
familiäre Schlaflosigkeit und

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