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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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Ortschaft Bonden ein,
eine stille Fremde, die ihren gut geölten Colt in der Satteltasche aufbewahrte,
ihn bei Bedarf aber mit tödlicher Wirkung gebrauchen konnte.»
    Oder: «Ich
erkannte ihren Schritt, der rastlos das Zimmer durchmaß, und häufig zerriss sie
die Stille mit einem tiefen Atemzug, der einem Stöhnen glich. Sie murmelte abgerissene
Wörter, das Einzige, was ich aufschnappte, war der Name Boris, gepaart mit irgendeinem
ungezügelten Kosenamen oder Ausdruck des Leidens und so gesprochen, wie man mit
einem Anwesenden sprechen würde - leise und ernst und der Tiefe ihrer Seele abgenötigt.»
Mia als Heathcliff - ein schrecklicher, höhnisch grinsender, Geist gewordener Leichnam,
der in einer Wohnung in der East 70th Street spukt und in einem fort wiederkehrt,
um Izcovich und seine Pause zu quälen.
    Die ganze Geschichte
findet in meinem Kopf statt, oder? Ich bin philosophisch nicht so naiv zu glauben,
man könnte eine empirische Realität der Geschichte erstellen.
Himmelherrgott, wir können uns ja nicht einmal darauf einigen, was wir erinnern.
Wir fuhren in einem Taxi, als die zehnjährige Daisy uns von ihren Theaterambitionen
kündete. Nein, wir waren in der Subway. Taxi. Subway. Taxi! Das Problem war, dass
sich zig Borise in meinem kOpf befanden. Er lief überall herum. Selbst
wenn ich ihn leibhaftig nie wieder sehen würde, war Boris als Denkmaschine unvermeidlich.
Wie oft hatte er mir die Füße massiert, wenn wir uns zusammen einen Film ansahen,
hatte geduldig die Sohlen, die Zehen und das von Arthritisschmerzen gequälte, früher
einmal schlimm gebrochene Fußgelenk geknetet und gestreichelt. Wie oft hatte er
mit dem Ausdruck eines glücklichen Kindes zu mir aufgeblickt, wenn ich ihm in der
Badewanne die Haare gewaschen hatte? Wie oft hatte er mich in die Arme genommen
und gewiegt, wenn ein Brief mit einer Ablehnung gekommen war? Auch das war Boris,
wissen Sie. Auch das war Boris.
    Ich kam ein
paar Minuten zu spät zum Kurs. Auf der Treppe hörte ich schallendes Gelächter und
das gewohnte, spöttisch gedehnte «O Gooott!». Als ich eintrat, verstummten die
Mädchen sofort. Im Näherkommen sah ich, dass aller Augen auf mir ruhten und dass
mitten auf dem Pult etwas lag: ein befleckter Bausch. Was war das? Ein blutiges
Kleenex.
    «Hatte jemand
Nasenbluten?»
    Stille. Ich
sah nacheinander ihre sieben verschlossenen Gesichter an, und ein Spruch, den ich
seit meiner Kindheit nicht mehr verwendet hatte, fiel mir ein: Was'n das'n? Keine der Nasen sah irgendwie geschädigt aus. Ich hob
das verdreckte Papiertaschentuch an einer noch unbenutzten Stelle zwischen Daumen
und Zeigefinger hoch und trug es zum Papierkorb. Dann fragte ich, ob mich jemand
über «das Geheimnis des blutigen Kleenex» aufklären wollte, während ein geistiges
Bild von Nancy Drew in ihrem blauen Roadster vorbeisauste.
    «Wir haben
es da gefunden, als wir reinkamen», sagte Ashley, «aber es war so ekelhaft, dass
keine es anfassen wollte. Der Hausmeister oder sonst wer muss es da hingelegt haben.»
    Ich sah Jessie
die Lippen zusammenpressen.
    «Abstoßend»,
sagte Emma. «Wie konnte jemand es einfach so liegen lassen?»
    Alice starrte
unverwandt auf den Tisch.
    Nikki warf
einen Blick auf den Papierkorb und verzog das Gesicht. «Manche Leute sind einfach
nicht sauber.»
    Joan nickte
eifrig. Peyton sah verlegen aus.
    «Es gibt viel
schlimmere Dinge als ein Kleenex mit ein bisschen Blut dran. Lasst uns zur wirklichen
Aufgabe des Tages kommen: Unsinn.»
    Ich war mit
Gedichten bewaffnet: Kinderreime, Ogden Nash, Christopher Isherwood, Lewis Carroll,
Antonin Artaud, Edward Lear, Gerard Manley Hopkins. Ich hoffte, ihre Aufmerksamkeit
vom Unrat auf das Vergnügen am Untergraben von Bedeutung zu lenken. Wir alle schrieben.
Die Mädels schienen Spaß zu haben, und ich lobte Peytons «Geschmackvolles Gedicht».
     
    Schlamm dir
den Pampen im Munderumm, Leck im und schleck im und schlung im dann reim, Ich stibbe
dem Knibben und stibbe dem Seim, Dann pluntzt mir die Wumpe, krawumm!
     
    Gegen Ende
der Stunde, als Alice ihren eher traurigen Nonsens «Alleinige in wilder Wüste ...»
vorlas, fing Ashley stark an zu husten. Sie entschuldigte sich, sagte, sie brauche
etwas zu trinken, und ging hinaus.
    Nach der Stunde
stürmten sie alle hinaus, außer Alice, die herumtrödelte. Wenn auch mürrisch, sah
sie an dem Tag in einem weißen T-Shirt und Shorts besonders hübsch aus, und ich
ging zu ihr und wollte gerade etwas sagen, als ich hinter mir jemanden

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