Hybrid
müssen.
Ich wusste nicht, was mich hergeführt hatte, welche Neugier, welcher Irrsinn. Aber ich hatte dieses unerklärliche Bedürfnis, zu verstehen, was geschehen war.
Ich ließ meinen Blick über die Lichtung schweifen. Das einstige Ackerland war mit Gräsern und niedrigen Sträuchern überwuchert. Ich ging ziellos umher. Warum mieden die Indios diesen Platz, hatten ihn verfallen lassen? Waren die Ernten nicht gut gewesen? Fürchteten sie etwas?
Und dann sah ich, was alles erklärte und doch gar nichts: Ich trat auf einen Ast, der keiner war. Bleicher Knochen leuchtete zu mir herauf, umgeben von schwarzen Holzresten. Ich hatte einen alten Scheiterhaufen gefunden. Und als ich mich umsah, erkannte ich überall auf der Lichtung die Stellen, die sich im Bewuchs vom Rest des Untergrunds unterschieden.
Dies war lange schon keine normale Lichtung mehr, sondern ein Friedhof! Heiliger oder unheiliger Boden, wer konnte das wissen, aber hier waren schon mehr Leichen verbrannt worden, womöglich alle mit einer ähnlichen Zeremonie. Üblicherweise verbrennen die Indios ihre Toten nicht – mit diesem Ort hatte es also ganz eine besondere Bewandtnis. War der Chupacabra schon so oft gekommen? Und wie viel weiß Susan darüber?
Löwenstraße, Eppendorf, Hamburg, 23. Juli
Tom wachte auf, weil er Durst hatte. Er orientierte sich kurz. Neben ihm lag Juli und atmete kaum hörbar. Er setzte sich auf, erhob sich behutsam aus dem niedrigen Bett und ging in die Küche. Er ließ das Wasser am Spülbecken einen Moment laufen, bis es kalt genug war, dann füllte er sich ein Glas und trank es in einem Zug leer.
Die LED -Anzeige am Radio zeigte kurz nach vier Uhr an. Die friedlichste Zeit der Nacht. Der Mond schien in den kleinen Raum und hüllte alles in einen unwirklichen Schein. So unwirklich wie die Liebesnacht, die er gerade erlebt hatte, unerwartet, ohne Umschweife, fordernd und doch erstaunlich sanft und intensiv.
Es waren seltsame Wege, die das Leben nahm. Innerhalb kürzester Zeit war aus einer Geschichte mit einem abgerissenen Fuß und einer forschen Studentin ein Abenteuer ganz anderer Art geworden, eines, das ihn im Innersten berührte. Er war sich nicht sicher, ob es ihn nachhaltig beeinflussen würde, ob er es überhaupt wollte. Aber dass es ihn berührte, daran bestand kein Zweifel. Nachdem Anne ihn verlassen hatte, war sein Interesse an anderen Menschen, insbesondere an Frauen auf den absoluten Nullpunkt gesunken. Anne hätte behauptet, das sei vorher auch schon nicht anders gewesen, aber er wusste, dass es nicht stimmte. Er hatte sich bemüht. Einen Job, in dem man sich täglich beweisen und um den nächsten Auftrag kämpfen musste, und eine Frau, die ständig ihren Anteil an Aufmerksamkeit einforderte, waren zeitgleich nicht leicht und schon gar nicht immer mit Ruhe und großer Einfühlung zu handhaben. Er musste Prioritäten setzen wie jeder andere Mensch auch. Und dass in Annes Freundeskreis dann die Heirats- und Kinderwunsch-Welle ausgebrochen war, hatte die Situation nicht vereinfacht. Er hatte sich weiß Gott bemüht, hatte Termine abgesagt, Kinokarten besorgt, war mit ihr am Samstag einkaufen gewesen, wenn er stattdessen hätte recherchieren und Artikel vorbereiten müssen. Am Ende hatte sie ihn angeklagt, nur halbherzig bei der Sache zu sein, sich überhaupt nicht mehr wirklich für ihre Belange zu interessieren. Sie hatte ihm Kälte und Lieblosigkeit vorgeworfen, hatte dann begonnen, abends selbstständig etwas zu unternehmen, und als sie eines Morgens erst um sechs Uhr nach Hause kam, hatte sie ihm erklärt, dass es da einen anderen Mann gäbe und dass Tom im Grunde schuld daran sei. Damit löste sich alles auf, und wenige Tage später war Anne zügig und spurlos wie der Morgennebel aus seinem Leben verschwunden.
»Was ist los?«
Tom fuhr herum, als er hinter sich Julis Stimme hörte.
Sie hatte sich ihr T-Shirt übergezogen, das sie aus dem Bad geholt haben musste, und sah ihn an. »Alles okay?«
Tom nickte. »Ja klar. Ich hatte nur Durst.«
Juli ging an ihm vorbei, füllte sich ebenfalls ein Glas mit Wasser und blickte aus dem Fenster.
»Ich brauchte das«, sagte sie nach einem Moment der Stille. »Ich hoffe, du kommst damit zurecht.«
Tom wusste nicht, was er sagen sollte. »Ja, sicher«, war alles, was er herausbrachte.
Sie drehte sich zu ihm und legte eine Hand auf seine Brust. »Danke.« Dann ging sie in den Flur.
Tom sah ihr irritiert hinterher.
Plötzlich verharrte sie. Sie hob ihre rechte
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