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Hybrid

Titel: Hybrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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offenbar etwas im Dorf vor sich geht. Ich habe mich neben sie auf den Boden gesetzt, mit dem Rücken an ihre Hütte, und mich mit ihr unterhalten. Das ist nicht leicht, weil sie nur ganz wenige Brocken Portugiesisch spricht, die sie irgendwann im Laufe der tausend Jahre ihres Lebens aufgeschnappt hat, und dass sie nur noch drei dunkle Zähne im Mund hat, hilft ihrer Artikulation auch nicht gerade.
    Aber irgendwie habe ich das Gefühl, sie mag mich. Jedenfalls lacht sie mich immer an, und das ist kein Reflex, denn bei anderen Weißen macht sie das nicht.
    Wie dem auch sei, jedenfalls hat sie mir nach einer Weile zu verstehen gegeben, dass Elvira nicht da sei, sondern mit dem Geist in den Wald gegangen sei, was auch immer das bedeuten sollte. Als ich sie dann über das Ritual befragte und mich nur mit einfachen Worten wie »Feuer« und »Nacht« verständlich machen konnte, sah sie mich erst fragend an.
    Ich wusste nicht weiter, also ahmte ich den Singsang des Schamanen und seine verklärten Gesten nach. Da begann Tia Velha plötzlich zu lachen. Ja, den kenne sie, gab sie mir zu verstehen, die Geister des Waldes seien gekommen. Ich weiß nicht, ob sie nun den Chupacabra oder den Schamanen meinte. Mal sagte sie Geist, mal Geister. Was das Feuer bedeute, wollte ich noch einmal wissen. Dann brabbelte sie etwas von den Jahreszeiten oder etwas Ähnliches und von dem Feuer, den Geistern und deren Haus und wies in den Wald.
    Ich wurde nicht schlau aus ihr, aber beunruhigt schien sie nicht zu sein. Ob sie denn keine Angst habe, wollte ich von ihr wissen, denn es schien mir offensichtlich, dass die anderen Dorfbewohner aus abergläubischer Furcht in ihren Hütten blieben. Daraufhin lachte Tia Velha, deutete an sich herunter, hob mit den Händen eines ihrer Beine an, ließ es wieder fallen, hob dann mit einer Hand einen ihrer Arme an, wackelte an ihm wie an einer losen Zaunlatte, ließ ihn wieder fallen und entblößte dann ihre dunklen Zahnstummel. An so etwas, meinte sie lachend, hätten die Geister kein Interesse.
    Dann ergriff sie plötzlich meinen Arm und sah mich ernst an. Ich solle nicht gehen, sagte sie eindringlich. Wohin, das sagte sie nicht. Nur immer: »Geh nicht!« Und dann hörte ich einen Namen aus ihrem Genuschel: »Oliver.«
    Ich wusste nicht, wen sie meinen könnte, denn wir haben keinen Oliver im Camp, und dass einer der Indios so heißen sollte, wäre mir neu gewesen.
    Ich nahm mir vor, Susan darauf anzusprechen, aber als ich auf dem Rückweg von Tia Velha war, fiel mein Blick wieder auf den Waldweg, den ich in der Nacht gegangen war.
    Ohne dass ich mir einer gezielten Entscheidung bewusst gewesen wäre, führten mich meine Beine zum Waldrand. Ich sah die Schneise entlang, die bei Tageslicht so viel breiter und freundlicher wirkte, und wie von unsichtbaren Fäden gezogen, ging ich voran. Ich hatte das Gefühl, als spürte ich Augen in meinem Rücken und schlenderte absichtlich beiläufig, so als wolle ich mich bei etwas Verbotenem nicht erwischen lassen. Dabei war ich diesen Weg schon zig Mal gegangen und noch viel häufiger gefahren. Aber heute war irgendetwas anders als sonst.
    Nach einigen Hundert Metern gelangte ich an den abzweigenden Trampelpfad zu meiner Linken. Ich ertappte mich dabei, einen Blick zurück auf das Camp zu werfen, das ich am Ende der Schneise sehen konnte, dann schlüpfte ich zwischen die Bäume.
    Der Pfad war kaum erkennbar, nur die niedergetretenen Gräser und Farne am Boden zeugten davon, dass in der letzten Nacht Menschen hier entlanggegangen waren. Ich fragte mich, wie ich den Weg in der Dunkelheit so zielsicher gefunden hatte. Aber indem ich dem Gesang und später dem Lichtschein gefolgt war, war ich vielleicht auch querfeldein gelaufen.
    Bald drang mir ein beunruhigender Geruch in die Nase, rauchig und würzig, und als ich bald darauf die ehemalige Lichtung erreichte, sah ich die Überreste des Holzstapels. Er war vollkommen in sich zusammengefallen, ein großer Haufen weißer Asche, der eine Rauchfahne absonderte, die sich bis hoch in die Bäume schlängelte. Der Geruch nach verbranntem Fleisch überlagerte nun alles und ließ mich würgen. Mit vorgehaltener Hand trat ich näher und erschauderte, als ich zwischen der Asche und einigen verkohlten Holzresten einen langen, geschwärzten Knochen herausragen sah. Das Feuer war nicht heiß genug gewesen, um ihn zu verbrennen. Auch der Schädel würde sicher noch erhalten sein. Ich wandte den Blick ab, um ihn nicht entdecken zu

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