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Hybrid

Titel: Hybrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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merkwürdige Umstände ihn nun hier mir ihr zusammengeführt hatten. Noch vor zwei Wochen hatte er sich nicht vorstellen können, sich in nächster Zeit erneut auf eine Frau einzulassen, geschweige denn mit einer, die jünger war als er. Sie war sicher unter dreißig, der von ihm selbst gezogenen Schwelle der geistigen Entwicklung, und trotzdem strahlte sie eine Klarheit und Entschlossenheit aus, die ihn beeindruckte. Er wollte sie noch viel besser kennenlernen, und diese Erkenntnis überraschte ihn. Woher sie kam, was sie dachte, wie sie fühlte. Er kannte sie bisher kaum, und nun fürchtete er fast, dass es auch dabei bleiben würde. Juli war eine Frau, die selbst entschied, wie weit sie ging, wie sehr sie sich auf etwas einließ, wie sie Abstand hielt. Und es war abzusehen, dass sich ihre Wege nach diesem gemeinsamen Unterfangen einfach wieder trennten.
    Während Juli aß, machte sie sich Gedanken über diesen Mann, mit dem sie nun an einem Tisch saß und der sie schweigend beobachtete. Es war nicht leicht, aus ihm schlau zu werden. Er pendelte zwischen einem selbstgefälligen, fast arroganten Mittdreißiger, der meinte, schon alles gesehen zu haben und alles zu wissen, und einem in die Jahre gekommenen unfreiwilligen Single, der in manchen Momenten unsicher, fast scheu wirkte. Ihr gefiel die Mischung auf eine gewisse Weise. Nicht nur, dass er durchaus gut aussah und seine blauen Augen ein verdammt charmantes Blitzen von sich geben konnten. Sie hatte auch festgestellt, dass er ihr ohne große Umstände das Ruder übergab, wenn er erkannte, dass die Situation es erforderte. Es war beinahe so, als führten sie einen sanften Wettstreit, in dem jeder streckenweise dem anderen zeigen wollte, was er konnte und wusste, ohne jedoch den anderen in stolzer Manier zu übertrumpfen. Es war ein Kennenlernen, ein sich Annähern, das Hand in Hand ging.
    Sie hatte kurz überlegt, ob sie sich nach der Dusche noch einmal zu ihm legen sollte. Lust hätte sie gehabt, und die Situation wäre ideal gewesen. In diesem Augenblick der Ruhe, der Verschnaufpause vor den Strapazen, die vielleicht vor ihnen lagen, hätte sie gerne noch einmal die intensive Energie seiner Leidenschaft aufgenommen. Vielleicht hätte es beiden gutgetan, sich noch einmal aufzuladen, sich gegenseitig Lust zu schenken und dann entspannt den Tag anzugehen. Nun hing zwischen ihnen eine unausgesprochene sexuelle Spannung. Sie wusste, wie er sie beobachtete, wie er sich kontrollierte, sich zurückhielt. Aber das war auch der Grund, weshalb sie sich schließlich dagegen entschieden hatte. Vielleicht hätte der Sex ihre Bande gestärkt, aber vielleicht hätte es Tom auch ausgesprochen irritiert. Zu viel war zwischen ihnen noch ungeklärt. Über Gefühle hatten sie bisher nicht gesprochen, sicher war nur, dass keiner von beiden auf der Suche nach einer Partnerschaft war, und wenn sie sich nun auf ihre Suche konzentrieren sollten, war es vielleicht keine gute Idee, das Miteinander unnötig kompliziert zu machen.
    Sie hatte entschieden, ihre gemeinsame Unternehmung so sachlich und professionell wie möglich zu halten. Vielleicht ergab sich mehr, wenn dies alles vorbei war. Aber dann war auch Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
    »Und nun? Fahren wir los?«, fragte Tom unvermittelt.
    »Ja«, sagte Juli und legte ihr Besteck beiseite. »Lass uns aufbrechen.«
    Wenig später waren sie in ihrem gemieteten Toyota-Geländewagen unterwegs. Die Koffer hatten sie im Hotel gelagert und außer ihrer Umhängetasche und seiner Fotoausrüstung nur eine große Reisetasche dabei, die quer auf den Rücksitzen lag. Es war halb zehn, die Straßen voll und geschäftig, aber die Klimaanlage im Wagen funktionierte, und die wiederholten Staus machten ihnen nichts aus.
    Nach einer halben Stunde wichen die großen Häuser zurück, fast schon glaubte Tom, dass sie sich dem Stadtrand näherten und in zunehmend bewaldetes Gebiet kommen würden, als er am Ende der Straße plötzlich Schiffe ausmachte, und kurz darauf fanden sie sich in einer wartenden Autokolonne wieder.
    »Die wollen auf die Fähren«, erklärte Juli. »Wie wir auch. Jetzt müssen wir Geduld haben.«
    Die Fähre entpuppte sich schließlich als etwas, das Tom bestenfalls als Floß bezeichnet hätte. Die Konstruktion war vollkommen flach und bot nur Platz für ein gutes Dutzend Wagen. Fast erwartete er, dass die Plattform vom anderen Ufer des Flusses aus mit Seilen herübergezogen würde, aber er bemerkte bald, dass es ganz offenbar

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