Hybrid
machen?«
»Nichts, vermute ich. Einfach stillhalten.«
Der Schamane sah zu ihnen herab und sprach sie nun an. Er redete schnell und mit grimmigem Gesicht, und als er nach einer Weile noch keine Pause machte und auch keine Antwort erwartete, dämmerte es Tom, dass er sie gar nicht ansprach, sondern predigte, dass er einen Schwall von Beschimpfungen oder Beschwörungen losließ, der nicht an sie gerichtet war, sondern an irgendwelche Wesenheiten, die er vermutlich vertreiben wollte.
Schließlich begann er einen merkwürdigen Singsang, der unangenehm schief und fremdartig klang, aber doch einem Muster zu folgen schien, denn die Umstehenden stimmten regelmäßig in ihn ein.
Während des Singens schwang er seinen Krallenstab über ihren Köpfen, als fegte er etwas hinweg, seine Augen rollten sich in den Höhlen nach oben, was seinem Gesicht etwas grauenvoll Manisches verlieh.
Die Prozedur dauerte an, und Toms Beine schmerzten allmählich, weil er nicht wagte, eine bequemere Haltung einzunehmen. Nach weiteren qualvoll langen Minuten verstummte der Mann schließlich, und kurz darauf hörte Tom, wie die Alte etwas sagte. Daraufhin stand Juli auf, und Tom folgte dankbar ihrem Beispiel.
Der Schamane sah sie an, blickte ihnen zum ersten Mal mit klarem Blick direkt in die Augen. Er sagte etwas, dann reichte er Tom einen Speer, der hinter ihm an einem Baum gelehnt hatte. Die Alte erklärte etwas, und Juli übersetzte: »Du sollst damit nicht töten.« Tom nahm die Waffe unschlüssig entgegen. Es war ein einfacher, aber sehr gerader Holzstab mit einigen geflochtenen Bändern direkt unterhalb einer scharfkantigen Spitze aus dünnem Metall. Tom verneigte sich leicht.
Als Nächstes sprach der Schamane Juli an und reichte ihr eine Trinkflasche, die aus einer Tierblase oder dünnem Leder gefertigt war. Nachdem die Alte die Anweisungen des Schamanen übersetzt hatte, erklärte Juli an Tom gewandt: »Und mir sagt er, ich soll nicht daraus trinken. Wir sind nun gereinigt, wir haben eine Waffe für das Leben und Wasser für den Tod. Und wenn wir wissen, wie wir beides richtig verwenden, werden wir Erfolg haben.«
»Wie bitte?«
Juli zuckte mit den Schultern. »Mehr weiß ich auch nicht. Das ist das, was er gesagt hat.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob uns das alles nun wirklich geholfen hat.«
Der Kreis der Indios um sie herum löste sich auf. Jeder, der ging, ließ beim Vorbeigehen eine Hand an Juli und Tom vorbeistreichen. Als Letzte passierte sie die Alte. Sie lächelte, und als sie das Band von Toms Kette entdeckte, fasste sie sich selbst an den Hals und nickte. Tom lächelte fast unmerklich.
»Er ist weg«, bemerkte Juli.
»Wer?«
»Der Schamane. Hast du gesehen, wo er hingegangen ist?«
Tom zuckte mit den Schultern. »Sich heimlich zu verdrücken, gehört vermutlich zu den ersten Tricks, die man auf der Schamanenschule lernt.«
Sie standen inzwischen allein auf der Straße. Die Indios waren in ihren Häusern verschwunden.
»Also gut.« Tom stemmte die Hände in die Hüften. »Jetzt wissen wir, dass wir deine Schwester suchen sollen, dass sie mit den Geistern des Waldes weggegangen ist oder so, wir sind rituell gereinigt, und wir haben eine Waffe, die wir nicht benutzen sollen, und Wasser, das genauso wenig für etwas gut ist. Irgendwie eine recht dürftige Ausgangssituation, findest du nicht?«
»Lass uns noch mal mit der Alten reden«, schlug Juli vor. »Dass wir uns irgendwie auf den Weg machen sollen, scheint ja klar zu sein. Nur wohin, das müssen sie uns noch sagen.«
Sie fanden die Alte erwartungsgemäß auf ihrem Stuhl vor ihrer Hütte vor. Sie sah sie mit demselben Lächeln an, das sie ständig trug und das im Laufe der Jahre so unzählige Falten in ihr Gesicht gegraben hatte. Es verlieh ihr einen Ausdruck von Abgeklärtheit und Zufriedenheit, der zugleich den Verdacht erweckte, sie könnte naiv sein und in Wahrheit gar nicht wissen, was um sie herum vor sich ging.
Juli sprach mit ihr und versuchte, aus den holprig formulierten und undeutlich artikulierten Antworten so gut es ging schlau zu werden.
»Sie sagt, wir sollen dem Fluss folgen«, erklärte sie schließlich. »Flussaufwärts, am Ufer entlang, also nicht mit dem Boot. Und in ein paar Tagen würden wir die Geister des Waldes finden.«
»Hat sie mal beschrieben, was sie mit diesen Geistern meint?«
»Nein, ich verstehe sie nicht. Jedenfalls scheint es etwas zu sein, das die anderen Dorfbewohner fürchten, nur sie selbst nicht. Aber was auch immer
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