Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
beeilte sich Slawik mitzuteilen. – Eineinhalb Stunden. Musik vom Band. Zigeunerromanzen, Filmmusik, Gaunerlieder. – Und wie singt sie? – interessierte sich Sanytsch. – Auf weißrussisch? – Warum auf weißrussisch? – Slawik war gekränkt. – Obwohl, im Prinzip keine Ahnung. Auf zigeunerisch wahrscheinlich, es ist ja schließlich ein Zigeuner-Ensemble. – Kommt sie allein, – fragte Goga weiter, – oder hat sie Bären dabei?
Raissa Solomonowna traf gegen ein Uhr mittags ein, sie atmete schwer nach der Hitze auf der Straße. Sie war etwafünfundvierzig, schminkte sich aber so stark, daß man auch falschliegen konnte. Eine schmächtige Brünette, hohe lederne Kanonenstiefel und ein durchsichtiges Hemdchen, sie komme gerade von einem Konzert im Kinderheim, sie habe gleich ein Plakat mitgebracht, damit keine Fragen offenblieben. Auf dem Plakat stand in roten Druckbuchstaben: »Die Philharmonie Charkiw lädt ein. Die Verdiente Künstlerin von Belarus Raissa Solomonowna. Morgenrufe«. Die unteren Zeilen »Uhrzeit« und »Preis« waren nicht ausgefüllt. – Na, – sagte Raissa Solomonowna munter, – zeigt mal her euren Klub. – Alle gingen in den Saal. – Was ist das hier, – fragte die Künstlerin, – ein Fast food oder ein Pub? – Ein Schwulenklub, – antwortete Goga unsicher. – Kraß, – sagte Raissa Solomonowna und ging auf die Bühne. Slawik als Vertreter des Showbiz legte die Musik ein.
Raissa Solomonowna fing mit Gaunerliedern an. Sie sang laut, wandte sich an das imaginäre Publikum und wedelte verführerisch mit den Armen. Goga gefiel es erstaunlicherweise, er lachte, sang mit, man merkte gleich, daß er die Texte kannte. Slawik stand gespannt neben der Anlage und behielt seinen Chef unauffällig im Auge. Sanytsch sah verstört aus. Nach dem fünften Lied klatschte Goga Beifall und bat um eine Pause, ging zur Bühne, reichte der Sängerin die Hand und führte sie zu sich ins Büro. Sanytsch folgte unsicher. – Großartig, – sagte Goga zu Raissa Solomonowna, – einfach klasse. Raissa, wie weiter ... – Solomonowna, – half sie. – Genau, – stimmte Goga zu. – Trinken wir einen zusammen. – Und singen werden wir nicht mehr? – fragte die Sängerin. – Heute nicht, – sagte Goga. – Heute wollen wir auf unsere Bekanntschaft anstoßen. – Nagut, – willigte Raissa Solomonowna ein, wenn Sie erlauben, werde ich mich nur schnell umziehen, es ist so heiß hier bei Ihnen. – Alles, was Sie wollen, – sagte Goga heiter, rief in der Bar an und bestellte zwei Flaschen kalten Wodka. Raissa Solomonowna zog die Kanonenstiefel aus und holte aus ihrem Täschchen flauschige Pantoffeln in Kätzchengestalt hervor. Goga schaute auf die Kätzchen und öffnete die erste Flasche. Sanytsch sah, worauf das alles hinauslaufen würde, und schaltete deprimiert sein Handy ab. Slawik wurde nicht dazugeladen. Er kam von allein.
Zunächst stießen sie auf ihre Bekanntschaft an. Dann begannen sie zu singen. Goga schlug vor, zurück auf die Bühne zu gehen, Raissa Solomonowna war einverstanden und kletterte, wie sie war, in Pantoffeln, auf die Estrade. Goga kletterte in ihren ledernen Kanonenstiefeln hinterher. Mit den Stiefeln und im Seidenhemd von Armani sah er aus wie ein Rasnotschinze. Slawik legte die Musik ein. Raissa Solomonowna sang wieder Gaunerlieder, Goga sang mit. Die Kanonenstiefel glänzten im Licht der Soffittenlampen.
Im Klo stieß Sanytsch auf Slawik. Dem ging’s schlecht, er bespritzte sich mit Wasser aus dem vorsintflutlichen Becken und schnappte nach der heißen Luft. – Sehr schlimm? – fragte ihn Sanytsch. – Alles paletti, – röchelte Slawik. – Slawik, – sagte San Sanytsch, – ich wollte dich schon lange fragen, vielleicht ist das nicht der richtige Ort für so ein Gespräch, ich weiß aber nicht, ob wir noch die Gelegenheit haben, sag, wie hältst du’s mit den Schwulen? – Slawik steckte den Kopf unter den kalten Wasserstrahl, prustete und ging an der Wand in die Hocke. Schwieg eine Weile. – Ich willIhnen, San Sanytsch, folgendes sagen, – fing er in vertrauensvollem Ton an, während er Wasser spuckte. – Ich habe überhaupt keinen Bock auf Schwule. Aber, – er hob den Zeigefinger, – dafür gibt es Gründe. – Was für Gründe? – fragte Sanytsch; er wollte nicht zurück in den Saal, besser hier abwarten. – Persönliche Gründe, – teilte Slawik mit. – Ich bin Allergiker. Wir Allergiker sind in der Regel auf Dope. Ich zum Beispiel, – sagte Slawik
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