Hypnose
trotz der Hitze zu frieren und unkontrolliert zu zittern.
»Willst du deiner geliebten Margitta wirklich noch einmal beim Sterben zusehen?« Ein Rauschen legte sich auf ihr Gehör. »Würdest du nicht … alles tun, um sie … zu retten?« Sie legte ihr Kinn auf die Brust und schloss vor Erschöpfung die Augen.
Nimm verdammt noch mal das Handy in die Hand , war ihr letzter klarer Gedanke. Mir bleiben nur noch ein paar Minuten …
Sie öffnete noch einmal die Augen und drehte in höchster Anstrengung ihren Kopf in Richtung Eckbank. Es reichte aber nicht mehr, ein deutliches Bild ihres Sohnes zu erhaschen.
✴
»Sie ist über den Berg«, hörte sie eine Stimme flüstern.
Inka hob ihre schweren Augenlider. Sie lag in einem Krankenhausbett, so viel konnte sie erkennen. An ihrem linken Arm hatte sie einen Verband und an ihrem kleinen Finger steckte eine Klemme, die den Puls auf einen Monitor übertrug. Von ihrem rechten Arm führte ein Schlauch zu einem Infusionsständer, an dem zwei Beutel hingen.
Sie war gerettet.
Eine Schwester in blauer Kleidung stand an ihrem Bett, warf ein paar gebrauchte Tupfer in eine Nierenschale, stellte die Desinfektionsflasche beiseite und nickte der Frau zu, die mit etwas Abstand zum Bett wartete.
Inka folgte der Blickrichtung. »Rebecca«, krächzte sie.
Zum Glück waren die Zeiten vorbei, dass auf einer Intensivstation grundsätzlich kein Besuch erwünscht war oder höchstens nur von engsten Familienmitgliedern.
Rebecca trat ehrfürchtig näher. »Gott sei Dank, du hast es geschafft!«
»Trotzdem nicht zu lange, bitte, die Patientin braucht noch viel Ruhe«, hörte sie die mahnende Stimme der Schwester. »Frau Mayer, ich schaue in einer halben Stunde noch mal nach Ihnen, um die Infusion auszutauschen.« Sie warf noch einen Blick auf den Monitor hinter dem Bett und verließ das Zimmer.
»Jonas?«, fragte Inka und befeuchtete ihre trockenen Lippen. An ihrem Oberarm pumpte sich eine Blutdruckmanschette automatisch auf. Schmerzen hatte sie keine, die Ungewissheit um ihren Sohn war die schlimmste Qual. Sie spürte nur eine bleierne Müdigkeit, und überall Juckreiz.
Rebecca zog sich einen Stuhl heran. »Ganz ruhig, Süße. Alles ist gut. Jonas wurde zum Durchchecken auf die Säuglingsstation gebracht. Das ist reine Routine, weil er mit am Tatort war. Aber es ist alles in Ordnung mit ihm. Er ist quietschfidel, ich war vorhin bei ihm. So ein süßer Knopf! Die Schwestern kümmern sich rührend um ihn, und du darfst ihn sehen, sobald du von der Intensivstation runterkommst.«
Inka seufzte erleichtert auf.
»Und Brunner?«, fragte sie und versuchte, sich im Ausschnitt, den das Pflegehemd freigab, zu kratzen. Dabei blieb sie an den Elektroden des EKG ’s hängen und gab auf.
»Er hat … er hat dir das Leben gerettet«, sagte Rebecca zögerlich, »indem er die Arterie so lange notdürftig abgedrückt hat, bis der Notarzt da war. Doch als die Polizisten eintrafen, bedrohte er sie, allen voran Andi, mit einem großen Messer. Brunner war nicht bereit, Jonas herauszugeben, sondern wollte lieber mit ihm zusammen sterben. Andi hat Brunner erschossen. Und Herta geht es den Umständen entsprechend gut.«
Ein Schauer durchrieselte Inka, als sie hörte, was Andi getan hatte. Dann dachte sie an den abgetrennten Finger der Haushälterin. »Rebecca, ich war diejenige, die …«, begann sie, doch sie wusste gar nicht, wo sie die erklärenden Worte hernehmen sollte. Ihr Gehirn schien wie mit Watte ausgefüllt.
»Schscht«, machte Rebecca. »Du darfst dich nicht anstrengen. Du hast gerade eine OP hinter dir, bei der man die Gefäße wieder verschlossen hat. Du hast jede Menge Blut verloren. Nicht kratzen. Der Juckreiz und der Ausschlag sind eine häufige Reaktion auf die HAES -Lösung, von der du schon ein paar Beutel bekommen hast, hat mir die Schwester erklärt … Sag mir nur eines: Hast du den Selbstmordversuch zu deiner Rettung inszeniert?«
Inka nickte. »Das wollte ich dir gerade sagen …«
Die Luft in der Blutdruckmanschette entwich und meldete das Ergebnis mit einem Piepser an den Monitor.
»Dann ist Andis Theorie also richtig«, sagte Rebecca. »Er hatte die Vermutung, dass Brunner in dir seine verstorbene Frau gesehen hat. Die ganzen Utensilien, die er in der Wohnung vorfand – das Bild von Annabels Mutter auf dem Küchentisch, das feierliche Essen, das Hochzeitskleid – sprachen Bände.«
»Peter … Wo ist Peter?«, fragte sie, und ihre widerstreitenden Gefühle für ihren
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