Hypnose
müssen.
Andi senkte den Kopf und verharrte so einen Moment, bevor er wieder aufsah und dabei tief Luft holte. »Mir wäre es auch lieber, er säße jetzt im Knast. Mir gehen die entscheidenden Sekunden immer wieder durch den Kopf und ich frage mich, ob ich irgendwie anders hätte reagieren können. Das interessiert nämlich auch noch höhere Stellen. Gegen mich laufen interne Ermittlungen.«
»Was?« Inka war entsetzt. Andi hatte sie aus ihrer misslichen Lage befreien wollen, und die Gefahr der Situation als sehr hoch eingeschätzt.
»Eigentlich eine Routinesache. Die Staatsanwaltschaft schaltet sich bei jedem Schusswaffengebrauch ein. Ich muss te meine Dienstwaffe abgeben, Schmauchspuren wurden gesichert, und meine Ergebnisse vom Schießtraining werden nun untersucht. Das volle Programm eben. Der Staatsanwalt will wissen, wie es zu der Notsituation kam. Ihm gefällt nicht, dass es eine ungleiche Situation war von wegen Messer gegen Schusswaffe. Noch dazu wäre ich Brunner körperlich überlegen gewesen, sagt er.«
»Und wozu diese Ergebnisse vom Schießtraining?«
»Vom Können her wäre ich in der Lage gewesen, auch sein Bein oder den Arm zu treffen. Und das wird mir jetzt zum Vorwurf gemacht. Aber ich stand unter Stress. Ich habe ihn mehrfach aufgefordert, das Messer wegzulegen und sich von dem Baby zu entfernen. Stattdessen kam er unvermindert auf mich zu. In seinen Augen habe ich gesehen, dass er zu allem entschlossen war. Er hat mich regelrecht zu einem Duell herausgefordert. Es dauerte noch einen Atemzug lang, dann habe ich geschossen. Dreimal. In die Herzgegend. Verdammt, dabei wollte ich das gar nicht …« Andi fasste sich an die Nasenwurzel und kniff die Augen zusammen.
»Brunner hat dich provoziert. Er wollte , dass du schießt. Er wollte sterben, hätte es aber nicht fertiggebracht, sich selbst umzubringen. Dann hätte er sich eingestehen müssen, in seinem Leben versagt zu haben.«
Andi wollte etwas erwidern, verstummte aber beim Klopfen an der Tür. Eine Schwester kam herein, mit einem schlafenden Baby auf dem Arm. In seiner Mini-Jeans, dem gestreiften T-Shirt und mit den vielen dunklen Haaren sah Jonas schon aus wie ein kleiner Junge.
»Dein Sohn«, sagte Andi und machte der Schwester Platz.
Inka schossen die Tränen in die Augen. So heftig, dass sie kaum mehr etwas sehen konnte. Sie blinzelte und streckte ihre Arme nach Jonas aus. Kurz darauf spürte sie sein unerwartet schweres Gewicht auf ihrem Körper.
»Er ist schon so groß«, flüsterte sie erstickt, und dennoch hielt sie ihn so vorsichtig, als wäre er zerbrechlich.
Andi fing mit einem Taschentuch ihre Tränen auf, weil sie selbst keine Hand mehr frei hatte. »Ihr habt die ersten sechs Monate miteinander verpasst«, sagte er, »aber jetzt beginnt eure Zeit.« Auch seine Stimme klang brüchig.
Die Schwester stellte Flaschenwärmer und Fläschchen auf den Tisch und wies auf die Klingel hin, falls etwas vonnöten sei, und verließ lächelnd das Zimmer.
Die Neugierde auf ihren Sohn ließ langsam die Tränen der Wiedersehensfreude versiegen, und Inka betrachtete verliebt seine entspannten Gesichtszüge. Sie konnte es kaum erwarten, bis Jonas aufwachte und sie in seine Augen sehen konnte. Und wie mochte sich seine Stimme anhören, wenn er vor sich hin brabbelte?
Inka riss ihren Blick los. »Andi, ich mache mir Vor würfe, dass du jetzt solche Schwierigkeiten hast.«
Erstaunlich ungerührt zuckte Andi mit den Schultern und streichelte Jonas’ Händchen. Der öffnete reflexartig die Fingerchen und umschloss mit seiner Faust Andis Zeigefinger. »Ich musste dieses kleine Menschlein unter allen Umständen retten. Ja, es kann mich meinen Job kosten, falls Staatsanwaltschaft und Richter die Schüsse in die Herzgegend nicht als Notwehr auslegen. Wenn ich schuldig gesprochen werde, würde mich sogar eine jahrelange Freiheitsstrafe erwarten. Selbst wenn das im ersten Moment nicht fair klingt, aber so sind Recht und Gesetz, die auch für mich als Polizist gelten. Aber ich würde jedes Mal wieder so handeln. Auch wenn ich seither jede Nacht von dem Schuss träume. Ich gehe mit den Bildern schlafen und wache davon wieder auf. Die Traurigkeit kommt erst jetzt.«
Ja, dachte Inka. Ich kann dich gut verstehen. Auch ich wäre beinahe in der gleichen Lage gewesen, wenn ich Brunner mit der Kehrschaufel tatsächlich umgebracht hätte. Sie hoffte inständig, dass das Verfahren gegen Andi gar nicht erst eröffnet werden würde und sie war sich sicher,
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