Hypnose
passten sogar noch die Mails vom Dezember. Glückwünsche zu ihrem Geburtstag, Weihnachtsgrüße von Kollegen und Bekannten und gute Wünsche zur bevorstehenden Geburt. Die waren allesamt ganz schön überrascht gewesen, als die Neuigkeit von ihrer Schwangerschaft durchgesickert war. Die meisten hätten sich wohl weniger gewundert, wenn sie mit ihrer Quickly zu einer Tour quer durch die USA aufgebrochen wäre. Reisen, Abenteuer, fremde Menschen kennen lernen – das passte zu ihr, aber doch kein kleiner Quäker an ihrer Brust. Doch unverhofft kommt oft – das Sprichwort hatte sich jedenfalls eines Morgens beim Blick auf den Schwangerschaftstest bewahrheitet.
Als ihre Regel nicht pünktlich wie immer eingesetzt hatte, dachte sie zuerst an eine Zyste, weil sie Unterleibsschmerzen hatte. Drei Tage lang nahm sie Schmerztabletten, weil sie dachte, ihre Regel würde jeden Moment einsetzen. Kein Brustspannen, keine Übelkeit. Natürlich war der Gedanke an eine mögliche Schwangerschaft kurz da gewesen, weil sie keinerlei künstliche Hormone vertrug und sie mit Kondomen verhüteten. Aber all die Jahre war nichts passiert. Und wenn es so gewesen wäre, dann hätte das auch keinen Weltuntergang bedeutet.
Aber in dieser Situation glaubte sie nicht an eine Schwangerschaft und beschloss, bei Evelyn anzurufen und einen Termin zur Zystenuntersuchung auszumachen. Den Schwan ger schaftstest machte sie an jenem Sonntag eigentlich nur, weil sie sich am Montag in der Praxis nicht blamieren wollte, falls sie doch schwanger wäre und das nicht selbst erkannt hätte. Beim Blick auf den Test musste sie erst mal nur lachen. Sie stand im Bad und lachte. Erst ein wenig ungläubig, dann frohen Herzens.
Peter war zu diesem Zeitpunkt im Dienst gewesen, und sie hatte ihm nach kurzer Überlegung mit einem Lippenstift, den sie ewig nicht mehr benutzt hatte, eine Nachricht auf den Spiegel geschrieben. So sieht ein werdender Papa aus! Peters erstauntes Gesicht würde sie nie mehr vergessen. Er hob sie hoch und nahm sie dann ganz lange in sich versunken in den Arm. Er vergaß darüber sogar sein Fußballspiel, das er eigentlich unbedingt hatte anschauen wollen.
Während sich Peter allerdings ziemlich lange an den Gedanken gewöhnen musste, konnte sie sich schon ab dem Moment, als Evelyn ihr auf dem Ultraschallbild eine Höhle mit einer unförmigen Bohne darin zeigte, damit anfreunden, Mutter zu werden. Alle in der Praxis hatten sich mit ihr gefreut, und jetzt fiel es ihr plötzlich wieder ein: Auch Brunner hatte ihr gratuliert. Stimmt, daran hatte sie sich gar nicht mehr erinnert. Es war also gar nicht so lange her, dass sie ihn zuletzt gesehen hatte, wenn auch nur sehr kurz, weil er schon wieder im Gehen begriffen war, als sie bei der Sprechstundenhilfe um den nächsten Termin bat. Zu diesem Zeitpunkt war er noch gesund gewesen. Wie schnell die Welt sich doch umkehren konnte …
Im Augenwinkel sah Inka einen Lidschlag lang einen Schatten draußen im Garten, so wie an dem Nachmittag, als sie mit Rebecca hier gesessen hatte. Sie schaute zur halb geöffneten Terrassentür. Wahrscheinlich nur ein Vogel, der im morgendlichen Sonnenlicht geflogen war und diesen kurzen Schattenwurf erzeugt hatte.
Doch ihre Angst nahm unvermittelt wieder zu. Aber noch hatte sie das Panikgefühl unter Kontrolle, und sie schwor sich, dass das auch so bleiben würde. Ganz ruhig bleiben . Sie atmete tief ein und hielt den Atem so lange wie möglich an … lange … lange … bis sie die Luft ausstieß und dabei die Entspannung spürte. Mit geschlossenen Augen horchte sie in sich hinein.
Schon beim gestrigen Versuch, als sie nervlich völlig aufgelöst von der Rechtsmedizin nach Hause gekommen war, war es ihr gelungen, durch Selbsthypnose ihre Aufmerksamkeit nach innen zu lenken. Dabei hatte sie das Bild einer Zugbrücke vor sich gehabt, die sie zu ihrem Unterbewusstsein hinunterlassen konnte. Auch wenn sie keinen so tiefen Trancezustand wie bei Doktor Brinkhus erreichte, so traten ihre Ängste doch in den Hintergrund.
Inkas Herz klopfte noch vom Atemanhalten, und sie stellte sich bildlich vor, wie es sich langsam beruhigte. Sie spürte ein sanftes Wogen in ihrem Körper, wie von Wellen getragen, ihre Gedanken trieben wie Blätter auf der Wasseroberfläche dahin. An ihren Handgelenken pulsierte das Blut, und sie konnte es fühlen, ohne die Haut dort zu berühren. Ruhig und regelmäßig.
Ich werde jetzt auf alles hören, was in mir vorgeht , sagte sie sich, mein Herz
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