I love you, honey
Jede Nacht kommt Kamal und hält mir weiterhin die Treue. An unserer Liebe hat sich nichts geändert. Wir reden nicht über die bevorstehende Trennung. Manchmal denke ich, dass er innerlich vielleicht ganz froh über meine Abreise ist. Dann kann er sein Leben führen wie er es möchte und niemand stellt Ansprüche an ihn. Bevor er mich kennenlernte, hat er es einfacher gehabt. Er musste sich um nichts kümmern und konnte in den Tag hineinleben. Für seine Bedürfnisse bekam er Geld von seiner Familie. Er konnte sich mit seinen Freunden treffen, wann und wie oft er wollte. Jetzt bin ich da und stelle Erwartungen an ihn. Es kann sein, dass er damit überfordert ist. Er kommt schon ohne mich nicht so gut mit seinem Leben zurecht. Vielleicht stürzt ihn seine Liebe zu mir in ein Gefühlschaos, dem er nicht gewachsen ist. Seitdem ich weiß, dass ich abfahre, hat sich eine große Ruhe in mir ausgebreitet. Ich bin traurig, aber ich akzeptiere den Lauf der Dinge. Jede Nacht setze ich mich zu Kamal in den Garten, egal wie müde ich bin. Ich höre seinen Anekdoten aus der Jugend zu, die er mir schon unzählige Male zuvor erzählt hat. Geduldig verharre ich schweigend neben ihm und er trinkt und trinkt, aber ich lasse ihn gewähren. Ich spüre seine Verzweiflung, aber ich kann ihm nicht helfen. In den vergangenen Jahren habe ich so oft versucht, ihn auf einen anderen Weg zu bringen, aber jetzt zum Schluss gebe ich auf. Ich kann ihm Ratschläge geben und ihm hilfreich zur Seite stehen, aber den Willen seinem Leben eine positive Richtung zu geben, muss er selbst haben.
So vergehen die Tage und Nächte im altbekannten Muster. Die drei Monate Wartezeit wegen des Bluttests sind fast vorbei. Die Ti ere sind gegen Tollwut geimpft und ich bin mir deshalb sicher, dass der Test negativ ausfallen wird. Ich habe das Café und die Wohnung zum Monatsende gekündigt. Jetzt ist nichts mehr rückgängig zu machen.
E ines Nachmittags erscheint überraschend Kamal bei mir. Es ist selten geworden, dass wir uns tagsüber sehen. Ich freue mich, dass er gekommen ist. Er setzt sich auf die Terrasse und ich gehe in die Küche, um uns einen Kaffee zu machen. Als ich zurückkomme, stelle ich die dampfenden Tassen auf den Tisch. Außerdem habe ich noch ein paar Schokoladenkekse auf einem Teller mitgebracht. Hachiko gesellt sich zu uns und Kamal streichelt seinen Kopf: ,, I´ll miss you, honey“, sagt er und blickt mich zärtlich an. Plötzlich wird mir die ganze Tragweite meiner Entscheidung bewusst und ich merke wie mir die Tränen in die Augen steigen. ,, Ich werde dich auch vermissen“, erwidere ich. Wie kann ich glauben, dass ich ohne ihn leben kann? Die Erinnerung an ihn wird mich ein Leben lang verfolgen. ,, Ich muss gehen und du weißt warum“, erkläre ich ihm. ,,Yes , I know.“ Er versteht die ausweglose Situation von uns beiden. Vielleicht komme ich eines Tages zurück und alles wird gut, wage ich zu hoffen. ,,Inshallah“, ,,So Gott will“ ist seine Antwort.
Nachdem er gegangen ist, habe ich widerstreitende Gefühle in mir. Einerseits liebe ich ihn genauso stark wie am Anfang unserer Beziehung, aber andererseits fühle ich mich nicht mehr in der Lage, diese Art von Leben mit ihm zu führen. Vielleicht habe ich etwas falsch gemacht? Selbstzweifel beginnen mich zu quälen.
Kamal taucht spät auf und ich begleite ihn wieder durch die Nacht. Ich gebe ihm alles, was er braucht: Wenn er Hunger hat, koche ich ihm etwas zu essen, wenn er Trost sucht, gebe ich ihm Zuspruch. Er ist mein Leben und das wird sich nie ändern.
Letzte Tage in Marokko
Eines Nachts werde ich von einem Anruf geweckt. Kamal ist nicht da. Die Polizei meldet sich und teilt mir mit, dass Kamal sich im Gefängnis befindet. Er hat den Polizisten gebeten mich anzurufen, damit ich ihm am nächsten Morgen dort abhole. Als Ausländern kann ich seine frühere Freilassung erwirken. Er wurde mit vier Flaschen Wein auf der Straße erwischt. Das ist zu viel, höchstens ein oder zwei werden von der Polizei geduldet. Es geht immer weiter bergab mit ihm. Ich bekomme Schuldgefühle, weil ich ihn bald alleine lassen werde.
Am nächsten Morgen mache ich mich früh auf den Weg zum Gefängnis. Es liegt in der Nähe meiner Wohnung liegt und ich kann es zu Fuß erreichen. Heute ist es besonders heiß und nach wenigen Metern bin ich schon völlig durchgeschwitzt. Endlich erreiche ich mein Ziel. Das Gebäude sieht bedrohlich aus.
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