I love you, honey
sehr benommen und tapsen ziellos durch die Wohnung. Ich lege sie auf eine Kuscheldecke in eine ruhige Ecke und lasse die Jalousien halb herunter, so dass sie sich im Halbdunkeln erholen können.
Jetzt warte ich auf Kamal, um ihm von meiner Entscheidung zu erzählen.
Er kommt nach Mitternacht. Ich habe etwas geschlafen und mir ein hübsches Kleid angezogen. Es ist blau/türkis gemustert und hat geraffte kurze Ärmel. Meine Haare habe ich zu einem Zopf geflochten. Ich möchte, dass Kamal mich schön findet. Vielleicht reduziert er das Trinken aus Liebe zu mir, wenn er merkt, dass ich es ernst mit meiner Abreise meine. Aber ich weiß, dass diese Hoffnung trügerisch ist. Ich klammere mich aber an diesen letzten Strohhalm. Kamal macht mir Komplimente über mein Aussehen, aber ich bemerke auch seine gereizte Stimmung. Er hat wieder Alkohol getrunken und setzt sich in den Garten, um Radio zu hören und die mitgebrachte Weinflasche zu leeren. Es ist unmöglich, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Ich lasse ihn für einige Zeit alleine und versuche es nach einer Stunde erneut. Jetzt freut er sich, dass ich ihm Gesellschaft leiste. Ich erzähle ihm, dass ich den Tollwuttest für die Tiere gemacht habe. Im ersten Moment erfasst er die Bedeutung der Aussage nicht, aber dann dämmert es ihm: ,,Do you really want to leave me?“, fragt er mich fassungslos. Ich möchte ihn nicht verlassen, aber die Lebensumstände zwingen mich dazu. Wie viele Nächte habe ich mit ihm verbracht, ihm zugehört, ihn motiviert, ihn getröstet, versucht ihm Halt zu geben. Ich habe gehofft, durch meine grenzenlose Liebe zu ihm, würde er es schaffen, sich zu ändern. Im Gegenteil, sein Verhalten verschlimmert sich und ich weiß nicht mehr, wie ich ihm helfen soll. Ich habe resigniert. Meine Unterstützung kann nicht bis zur Selbstaufgabe gehen. Ich fühle mich in einem Strudel aus Scham und Schuld gefangen. Vielleicht war ich nicht genug für ihn da? Aber ich habe ihm so viel Beistand geleistet wie ich konnte und habe darüber fast mein eigenes Leben vergessen. In letzter Zeit sehe ich auch keinerlei Bemühungen mehr von ihm, ein geregeltes Leben zu beginnen. Er hat sich jetzt völlig der Trunksucht ergeben und kämpft auch nicht mehr wie anfangs dagegen an.
,,Kamal“, sprudelt es aus mir heraus , ,,Du weißt doch auch, dass es hier nicht mehr so weitergeht. Wir verdienen nicht genug Geld, ich müsste aus meiner feuchten Wohnung ausziehen und ich kann die langen, durchwachten Nächte mit dir nicht mehr durchhalten.“ Er zeigt sogar Verständnis, dass ich hier unter diesen Umständen nicht mehr leben kann. Ich bin jetzt über zwei Jahre hier und habe in dieser Zeit kaum eine Nacht durchgeschlafen. Erst meistens morgens gegen vier Uhr finde ich vielleicht drei bis vier Stunden Ruhe. Kamal sieht ein, dass es nicht gut für mich ist, dass er mir ständig den Schlaf raubt. Trotzdem er ist nicht in der Lage, seinen Lebensrhythmus für mich zu ändern und schlägt mir wieder vor, nach Essaouira zu ziehen. Aber für mich ist das kein Thema mehr und er weiß es. In dieser Nacht ist unser Schicksal besiegelt: Wir müssen und werden uns trennen. Kamal trinkt bis zum frühen Morgen.
Ich bereite mich inzwischen vor, um ins Café zu gehen. Ungefähr drei Monate muss ich noch durchhalten, bis dahin werde ich so gut wie möglich versuchen, mein Leben zu meistern.
Die Katzen streichen mir um die Beine und wollen gefüttert werden. Sie haben sich schnell von ihrer Kastration erholt und tollen umher wie immer.
Ich gebe ihnen zu Fressen und Kamal und ich laufen zum Taxi. Er fährt jetzt in sein Familienhaus. Ich mache ihm keine Vorwürfe, dass er mich alleine ins Café fahren lässt. Nach der durchzechten Nacht würde er sowieso nicht durchhalten, dort zu arbeiten. Ich habe schon innerlich mit dem Leben hier abgeschlossen. Meiner Mutter erzähle ich später von meinem Vorhaben, zurück nach Deutschland zu kommen. Sie billigt meine Entscheidung: ,,Es ist besser du kommst jetzt zurück. Du hast viele Jahre versucht, Kamal zu helfen und es hat nichts genutzt. Er muss jetzt alleine seinen Weg gehen. Vielleicht kommt er ja irgendwann zu der Einsicht, dass er auf diese Art und Weise nicht weiterleben kann und er sich sein eigenes Grab schaufelt. Du darfst die Schuld nicht bei dir suchen, dass er mit dem Leben nicht klarkommt.“ Die Worte meiner Mutter machen mir Mut, um die folgende Zeit zu überstehen.
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