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Iacobus

Iacobus

Titel: Iacobus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matilde Asensi
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des Königs, ungerechterweise angeklagt eines Verbrechens, das er tatsächlich beging.«
    »Habt Ihr gerade Evrard gesagt?« fragte ich mit so erstickter Stimme, wie ich sie eben noch mühevoll herausbringen konnte.
    »Kennt Ihr ihn etwa?« Sara stutzte.
    Ihn kennen? dachte ich. Nein. In Wirklichkeit hatte ich ihn nur ein einziges Mal gesehen, vor unendlich vielen Jahren, und das nennt man nicht einen Menschen kennen. Evrard … Evrard und Manrique de Mendoza.
    Ich war nur wenig älter als Jonas gewesen, als Isabels Bruder Manrique in die Burg seines Vaters zurückkehrte, nachdem er lange Jahre auf Zypern verbracht hatte, wo sein Orden seit dem Verlust der syrischen Stadt Akkon 1291 residierte. Manrique war Tempelherr, und er kam in Begleitung seines Freundes Evrard zurück. Während der wenigen Wochen, die sie im Schloß verbrachten, lauschten wir unendlichen Geschichten über die Kreuzzüge und Schlachten, über Monarchen und Krieger … sie erzählten vom großen Maurenführer Salah Al-din, vom leprakranken König, dem Schwarzen Stein von Mekka, dem ›Alten vom Berge‹ und seinen fanatischen Anhängern, den Assassinen, vom Süßwasser des Sees Genezareth, vom Verlust des Heiligen Kreuzes in der Schlacht von Hattin … Isabel, Jonas' Mutter, betete ihren großen Bruder an, und ich, ich betete schlicht und ergreifend Isabel an. In jenen unvergeßlichen Nächten, während denen Manrique und Evrard am Feuer des Waffensaals der Mendoza ihre Geschichten erzählten, beobachtete ich schweigend aus dem Dunkeln heraus Isabels wunderschönes Gesicht, das von den Flammen erhellt wurde, dieses Gesicht, das ihr Sohn mir nun zurückgab, Tag für Tag, Woche für Woche, als wäre er das lebendige Abbild seiner Mutter. Sie wußte, daß ich sie unablässig anschaute, und all ihre Gesten, ihr Lächeln und ihre Worte waren an mich gerichtet. Bis in alle Ewigkeit waren Manriques und Evrards Namen in meinem Gedächtnis mit den wundervollen Erinnerungen an jene Jahre verbunden, die ich, zuerst als Page und dann als Schildknappe, in der Festung derer von Mendoza verbrachte, die am Ufer des Río Zadorra in Álava errichtet worden war.
    »Ihr kennt ihn?« wiederholte Sara.
    »Wie? … Ah, ja, … ja …! Ich lernte ihn vor vielen Jahren kennen, vor so vielen, daß ich ihn schon fast vergessen hatte. Sagt … Euer anderer Freund, Evrards Gefährte, … heißt er Manrique, Manrique de Mendoza?«
    Das Gesicht der Zauberin erstarrte plötzlich zur steinernen Maske, über die ein Blitz aus Zorn und Trauer zuckte.
    »Auch Manrique kennt Ihr!« flüsterte sie.
    Offenbar teilten Sara und ich für zwei Mitglieder derselben Familie ähnliche Gefühle des Verlusts und der Sehnsucht. War das nicht zum Lachen? Mein ganzes Leben habe ich damit zugebracht, vor den Gespenstern meiner Vergangenheit zu fliehen, um nun im bescheidenen Haus einer Zauberin im jüdischen Viertel von Paris wieder auf sie zu treffen. Ich brauchte Zeit, um meine Gedanken zu ordnen, doch gerade die hatte ich nicht.
    »Sagt mir, Sara, was ist mit Evrard?«
    »Er liegt im Sterben. Er hat schrecklich hohes Fieber und ist abgemagert bis auf die Knochen. In letzter Zeit kommt er kaum noch zu sich.«
    »Erlaubt man Euch etwa, ihn zu besuchen?« fragte ich verwirrt.
    Sara brach in Lachen aus.
    »Nein, natürlich nicht, aber ich brauche niemandes Erlaubnis, um mich um Evrard zu kümmern. Vergeßt nicht, daß er in den Verliesen der Festung eingesperrt ist, in der ich aufgewachsen bin.«
    »Wollt Ihr damit sagen, daß Ihr irgendeinen geheimen Zugang kennt?«
    »Genau das. Seht, der Untergrund von Paris ist durchzogen von Hunderten von Tunneln und Stollen, die mit den ehemaligen römischen Abwasserkanälen verbunden sind. Auf der linken Seite der Seine gibt es drei Hügel: den Montparnasse, den Montrouge und den Montsouris. Ihr Inneres wurde schon vor den Römern durchlöchert und als Steinbruch genutzt. Es sind lange Gänge, die den Fluß und die Stadt unterirdisch kreuzen und bis zu einem weiteren Berg, dem Montmartre, führen. Im Laufe der Jahrhunderte gerieten sie in Vergessenheit, und heute erinnert sich kaum noch einer an ihre Existenz. Die Tempelherren jedoch benutzten diese Stollen, um dort kostbare Gegenstände zu horten und Teile des Kronschatzes zu verstecken, als sie noch dessen Wächter waren. Und auch um dort einige ihrer Gottesdienste abzuhalten.«
    »Und warum kennt Ihr sie?«
    »Weil wir durch sie vor den königlichen Wachen entkamen«, erinnerte sie sich voll Wut.

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