Iacobus
auf Anzeichen dafür, daß die Templer diese Unterwelt einst tatsächlich genutzt hatten: eine beschädigte Skulptur des Erzengels Michael, die verlassen in einer Ecke stand, eine geöffnete, leere Truhe mit drei Siegeln mitten auf dem Weg, Nischen in den Felswänden mit seltsamen Zeichnungen (Sonnenzeichen, Mondkähne mit drei Masten, doppelköpfige Adler …). Hier und da stießen wir auch auf Steinhaufen, die durch eingestürzte Gewölbe entstanden waren. Sara erzählte mir, daß Jahre zuvor, als sie heimlich dieses Labyrinth aufsuchte, Truhen voller Gold, Schmuck und Edelsteinen sich zu Hunderten entlang der Wände stapelten, ja sogar bis zur Decke aufeinandergetürmt waren. In den geöffneten hatte sie glänzende Münzen, Ringe, herrliche Halsketten, Diademe, mit Rubinen, Perlen und Smaragden besetzte Kronen, Medaillons aus Ebenholz und Elfenbein, Becher, Kelche, Schmucketuis aus Perlmutt, Kruzifixe mit schönen Verzierungen und Einlegearbeiten aus Gemmen, mit wertvollen Gold- und Silberfäden gewirkte Stoffe, Kandelaber so groß wie ein Mensch und so glänzend wie die Sonne und noch viele weitere gleichermaßen wunderbare Dinge gesehen. Ein Schatz, den man sich nur schwer ausmalen könne, wenn man ihn nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, behauptete sie. Wie war es möglich, daß all dieser Reichtum sich in Luft aufgelöst hatte, fragte ich mich überrascht, vor den Augen der Wachen, des Königs und selbst der Pariser Bürger, als wäre alles nur Schall und Rauch gewesen? Wann, und vor allem wie hatten die Templer die Truhen aus diesen Stollen geschafft, ohne Verdacht oder Neugierde zu erregen? Ich konnte es mir nicht erklären.
Schließlich hielten wir an einer Wegkreuzung an.
»Wir sind da. Jetzt müssen wir mucksmäuschenstill sein, oder die Wachen hören uns.«
Die Jüdin stellte sich vor eine der Felswände, die sich auf den ersten Blick in nichts von den anderen unterschied, und begann wie eine Katze daran hochzuklettern, wobei sie sich einige strategisch in den Felsen gehauene Vertiefungen zunutze machte. Was dann zunächst so aussah, als wäre es die Mündung eines anderen Stollens, stellte sich als der Zugang zu den Abwasserkanälen der Templerfestung heraus; plötzlich schlug uns eine penetrante Dunstwolke aus verwesenden Exkrementen entgegen. Über unseren Köpfen war das gedämpfte Echo von fernen Stimmen zu hören und nicht enden wollende polternde Schritte, die in alle Richtungen strebten. Wir schlichen die übelriechenden Kanäle entlang, bis wir vor einem hohen Eisengitter standen, das sich trotz seines furchteinflößenden Aussehens von der Hand der Zauberin widerstandslos zur Seite schieben ließ. Minuten später wurde das Gewölbe niedriger, und als meine Haare die Steine über mir schon streiften, blieb Sara stehen, reichte mir ihre Fackel und drückte mit beiden Händen einen der riesigen Quadersteine nach oben. Der Stein gab geheimnisvollerweise nach, und als ob er nicht mehr als ein Lufthauch wiegen würde, glitt er beiseite und gab uns den Weg frei.
»Löscht die Fackeln! Aber Vorsicht, sie sollen nicht feucht werden, sonst können wir sie nachher nicht mehr für den Rückweg benutzen.«
Nachdem ich ihrem Befehl Folge geleistet hatte, stieg ich hinter ihr in Evrards dunkles Verlies.
»Gab es irgendwelche Schwierigkeiten?« erklang die Stimme eines Alten aus einer Ecke. Es war so stockdunkel, daß ich nicht einmal meine eigene Hand vor den Augen hätte erkennen können.
»Nein, keine Sorge. Wie geht es dir heute?«
»Besser, viel besser … Aber … wo ist Galcerán? … Galcerán?«
»Hier bin ich, mein Herr Evrard, glücklich darüber, Euch nach so vielen Jahren wiederzusehen.«
»Komm her, mein Junge«, bat er mich mit schwacher Stimme. »Komm näher, damit ich dich betrachten kann. Nein, du mußt nicht überrascht sein«, sagte er dann mit einem leisen Lachen, »meine Augen sind so an diese Finsternis gewöhnt, daß das, was für dich Schatten, für mich Licht ist. Komm! … O mein Gott, du bist ja ein Mann geworden.«
»So ist es, mein Herr Evrard.« Ich lächelte.
»Manrique erfuhr von jemandem, der dich kannte, daß du auf Rhodos lebst. Ich glaube, er sagte, du hättest das Hospitalitergelübde abgelegt.«
»So ist es, Bruder. Ich bin Ritter des Ordens des Hospitals vom Heiligen Johannes. Für gewöhnlich arbeite ich als Medikus im Spital des Ordens auf Rhodos.«
»Also Hospitaliter, wie?« wiederholte er sarkastisch. »Immer hat man behauptet, daß unsere
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