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Iacobus

Iacobus

Titel: Iacobus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matilde Asensi
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ergänzt, den Jakobsweg in vollkommener Armut zurückzulegen und mich nur auf die Großherzigkeit der Menschen zu stützen. Zum Glück stand dazu im ›Codex Calixtinus‹:
    Peregrini sive pauperes sive divites a liminibus Sancti Jacobi redientes, vel advenientes, omnibus gentibus caritative sunt recipiendi et venerandi. Nam quicumque illos receperit et diligenter hospicio procuraverit, non solum beatum Jacobum, verum etiam ipsum Dominum hospitem habebit. Ipso Domino in evangelio dicente: Qui vos recipit me recipit.
    Die Pilger, seien sie nun arm oder reich, die vom Grab des heiligen Jakobus zurückkehren oder dorthin unterwegs sind, müssen von allen Menschen barmherzig aufgenommen und hochgeachtet werden. Denn wer jene aufnimmt und mit Eifer beherbergt, wird nicht nur den heiligen Jakobus, sondern den Herrn selbst als Gast haben, wie es der Herr selbst im Evangelium sagt: ›Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf.‹
    Jonas, der seit unserem Aufbruch von Ponç de Riba nach und nach das respektvolle, bescheidene Auftreten eines Novizen verlor, protestierte energisch:
    »Warum können wir diese anstrengende Wallfahrt nicht mit etwas Bequemlichkeit verbinden? Daran zu denken, was uns erwartet, ist einfach schrecklich! Ich glaube, ich habe keine Lust, Euch zu begleiten!«
    »Du, García Galceráñez, wirst bis an ihr Ende mitgehen, ob du nun willst oder nicht.«
    »Damit bin ich durchaus nicht einverstanden. Ich will zurück in mein Kloster.«
    Geduld, Geduld!
    »Schon wieder dieselbe Leier?« rief ich aus und verpaßte ihm eine Kopfnuß.
    Am 9. August schließlich, einem Donnerstag, ließen wir die Stadtmauern von Avignon und die prächtige Pont St-Bénezet über die düstere Rhône hinter uns, als die Sonne sich gerade erst am Himmel zeigte. Es dauerte nicht lange, bis wir auf die erste Gruppe Pilger stießen, die wie wir auf dem Weg nach Arles waren. Es handelte sich um eine große deutsche Familie, die sich mit all ihren nahen Anverwandten und der Dienerschaft auf den Weg nach Santiago gemacht hatte, um ein altes Versprechen einzulösen. An jenem ersten Mittag teilten wir ihr Mahl und tranken von ihrem Wein, aber am späten Nachmittag bemerkten die Deutschen, daß sie viel Zeit verloren, wenn sie weiterhin die Geschwindigkeit ihrer Wagen und Pferde unseren Schritten anpaßten, weshalb sie sich fröhlich und mit großen Sympathiebekundungen verabschiedeten. Erleichtert sagten wir ihnen Lebewohl, denn es gibt keinen freundlicheren und aufdringlicheren Menschenschlag als die Deutschen, und wanderten allein weiter. Bei Sonnenuntergang zündeten wir am Flußufer ein Feuer an und bereiteten uns ein Nachtlager. Unermüdlich quakten die Frösche.
    Bis Arles benötigten wir noch eine weitere halbe Tagesreise. Wir erreichten die Stadt in einem wirklich bedauernswerten Zustand, weil weder der Junge noch ich das viele Laufen gewohnt waren. Die Ledersandalen hatten unsere Füße fast bis auf die Knochen wundgescheuert, und darüber hinaus hatten wir die letzten Meilen so humpelnd und gequält zurückgelegt, daß wir außer den Geschwüren und blutigen Blasen allerlei Schmerzen am ganzen Körper, von den Haarspitzen bis in die Fußzehen, verspürten. Wenn wir doch wenigstens in einer Herberge wie in Paris hätten übernachten dürfen, so hätten wir uns auf weichen Strohsäcken von unseren Leiden erholen können, jedoch verweigerte die von einem nicht vorhandenen Beichtvater dem angeblichen Ritter de Born auferlegte Buße uns sogar diesen mageren Trost. Besagtes Armutsgelübde war jedoch kein dummer Einfall von mir gewesen, auch wenn Jonas es nicht anders zu sehen vermochte. Die Tatsache, auf Almosen und die Barmherzigkeit anderer angewiesen zu sein, erlaubte es uns, fast jedes Haus, jede Burg oder Festung, jedes Dorf oder Kloster, jede Pfarrei oder Kathedrale auf unserem Weg aufzusuchen, was uns das Anknüpfen von Gesprächen äußerst erleichtern würde. Keine Auskunft ist zu banal, wenn sonst sämtliche Hinweise fehlen.
    Abgekämpft und übel zugerichtet suchten wir darum wie viele andere Pilger auch im Kirchenschiff der ehrwürdigen Basilika St-Honoré Unterschlupf, aus der uns der Sakristan noch vor Sonnenaufgang mit Fußtritten wieder verscheuchte, damit die erste Messe des Tages gelesen werden konnte. Wie dankbar war ich, als man uns vertrieb! Ich hatte den Gestank und Dreck, die Ratten, das Ungeziefer und die Flöhe wie auch die Ausdünstungen der Gefährten, die unsere Schlafstätte teilten, satt.
    An diesem Morgen

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