Iacobus
behalten.«
»Danke, Graf«, rief ich ihm als Abschiedsgruß hinterher.
Das Echo meiner Stimme verhallte im Kirchenschiff, nicht ohne daß ich mir des hohen, ängstlichen Tons bewußt wurde, der in der letzten Silbe mitschwang. Wußte mein Orden über diese Drohung Bescheid, oder war sie ausschließlich auf ein abgekartetes Spiel des Papstes zurückzuführen? Wie auch immer, ich konnte von niemandem Hilfe erwarten.
Bis Montpellier benötigten wir drei Tage und weitere zehn bis Toulouse, wo wir in der Nähe der Stadt, in Gellone, die Grabstätten des seligen Bekenners Wilhelm von Aquitanien – des Heerführers Karls des Großen, der im Kampf gegen die Sarazenen gefallen war – und die der heiligen Märtyrer Tiberius, Modestus und Florentia besuchten, die in der benediktinischen Abtei von Saint-Thibéry am Ufer des Hérault beigesetzt waren. Auch die Gebeine des heiligen Bischofs Saturninus in St-Serin suchten wir auf, der den Märtyrertod erlitten hatte, indem man ihn an einige wilde, ungezähmte Stiere band, die ihn dann vom Kapitol über Steintreppen hinabschleiften und ihm dabei den Kopf zertrümmerten.
Ich machte mir große Sorgen um den Einfluß, den diese schaurigen Geschichten auf Jonas haben konnten. Auch wenn ich die Aufgabe übernommen hatte, ihn in verschiedenen Dingen zu unterweisen und seinen Verstand zu schärfen, so war doch die Stunde seiner völligen Initiation noch nicht gekommen, denn es fehlten ihm noch einige Jahre, um zum Ritter geschlagen zu werden (seine Herkunft war offiziell ungewiß, und obwohl ich dieses Geheimnis früher oder später lüften müßte, würde es noch einige Zeit dauern, bis er fähig war, eine Ritterrüstung mit allem Drum und Dran zu tragen, mit der Lanze umzugehen und insbesondere mit aller Kraft ein schweres Schwert aus gutem fränkischen Eisen zu schwingen). Bedauerlicherweise machte ihn sein Noviziat im Kloster von Ponç de Riba sehr empfänglich für die wunderlichen und verlockenden Taten der Heiligen und Märtyrer, von denen die meisten – wenn sie nicht Krieger gewesen wären, die ihre Schlachten zu Gunsten der Kirche geschlagen hätten – nicht einmal Christen gewesen waren, womit sich bewahrheitete, daß der lange Arm der Kirche ihre fast immer heidnische oder initiierte Lebensführung beschönigt hatte, um sie dem römischen Kanon einzuverleiben.
Jonas' religiöser Eifer wuchs im Laufe unserer Pilgerfahrt mit der Anzahl der Grabstätten, die wir besuchten, doch meine Besorgnis erreichte ihren Höhepunkt, als wir Ende August in Borce am Fuße des Summus Portus ankamen und ich entdeckte, wie er gerade das Stück geräucherten Speck in seiner Pilgertasche verschwinden ließ, welches uns eine gütige Frau geschenkt hatte, als wir sie um der Liebe Gottes und des heiligen Jakobus willen um etwas zu essen baten.
»Was zum Teufel machst du da?« fragte ich ihn, während ich seine Hände herauszog und dann in seinen Beutel sah. Ein ekelerregender Gestank stieg mir in die Nase, als ich die zwei oder drei Dinge, die alles bedeckten, beiseite schob: Dort, am Boden des Futtersacks, schimmelte das Essen von mehreren Tagen vor sich hin. Ich hatte so etwas schon geahnt, aber den Augenblick abwarten wollen, ihn in flagranti zu ertappen. »Darf man erfahren, was das soll?«
Nicht der geringste Schimmer von Scham oder Angst spiegelte sich in seinem kindlichen Gesicht, das über den Lippen und am Kinn schon von einem leichten Flaum überzogen war. Vielmehr nahm ich eine Miene voll Eigensinn und unbändigem Trotz wahr, als ich ihn streng ansah.
»Ich muß Euch nichts erklären.«
»Ach nein? Du läßt die Lebensmittel verderben, die wir uns so mühevoll beschaffen, und statt sie aufzuessen, wirfst du sie achtlos in deine Pilgertasche.«
»Das geht nur mich und Gott was an.«
»Was für Dummheiten sind denn das?« polterte ich erzürnt. »Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang sind wir ununterbrochen auf den Beinen, und du läßt einfach dein Essen verkommen, statt es zu vertilgen, um wieder neue Kräfte zu sammeln. Ich verlange sofort eine Erklärung, oder du wirst die Sanftheit dieser Rute auf deinem Allerwertesten spüren!« Ich riß eine lange, biegsame Rute von der Buche ab, die zu meiner Rechten stand.
»Ich will Märtyrer werden!« brummte er.
»Du willst was werden?«
»Märtyrer, ich will Märtyrer werden!«
»Märtyrer!« rief ich aus, während ein Rest von Vernunft mich warnte, daß ich bei dem verflixten Burschen letztlich mehr verlöre als gewänne,
Weitere Kostenlose Bücher