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Iacobus

Iacobus

Titel: Iacobus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matilde Asensi
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Junge und schaute ungläubig auf meinen Spielstein in der Mitte.
    »Ich habe dir doch schon gesagt«, erklärte Niemand ihm geduldig, »daß so nun einmal die Spielregeln sind. Wenn dein Vater mit so viel Glück bis ins Ziel gekommen ist, wird das seinen Grund haben. Zufälle gibt es nicht. Ihr, Don Galcerán, habt das Ziel schon erreicht, Ihr habt die Strecke auf schnellstmögliche Weise zurückgelegt. Denkt darüber nach. Jetzt bin ich dran.«
    Er schüttelte die Würfel mit beiden Händen und warf sie auf den Tisch. Die Knochen zeigten eine Sechs und eine Eins, insgesamt also sieben Augen.
    »Habt Ihr bemerkt, daß die gegenüberliegenden Punkte eines Würfels immer die magische Zahl Sieben ergeben?« fragte er, während er seinen Spielstein auf die Figur eines Fischers setzte.
    »Jetzt bin ich an der Reihe …«, rief Jonas und schnappte sich die Würfel. Er bekam eine Drei und eine Vier.
    »Ebenfalls sieben!« rief er aus und stellte seinen neben Niemands Stein.
    »Nichts da, García«, sagte dieser und stellte das grüne Holzstück zurück. »Wenn ein Spieler beim ersten Würfeln den Zug des anderen wiederholt, bleibt er auf dem ersten Feld stehen. Also wieder zurück an den Anfang.«
    »Das ist ein dummes Spiel! Ich mag nicht mehr!«
    »Was du angefangen hast, mußt du auch beenden. Eine Partie darf man nie mittendrin abbrechen wie auch sonst keine Aufgabe oder Pflicht unerfüllt lassen.«
    Der Alte schüttelte wieder die Würfel und warf sie aufs Spielfeld. Vier und sechs, zehn. Wie mein letzter Zug. Dann kam Jonas dran: zwei und eins, also drei. Danach erreichte Niemand mit seinem dritten Zug das Feld mit der Nummer 27, auf dem eine Gans zu sehen war:
    »Von Gans zu Gans, ein neuer Tanz. Ich darf noch mal!« rief er vergnügt aus, rückte mit seinem Stein bis zum Häuschen Nummer 36 vor und würfelte erneut. Sechs Punkte. Sein roter Spielstein zog wie ein Blitz zur 42, wo ihn jedoch das Labyrinth abrupt bremste.
    »Jetzt muß ich einmal aussetzen und danach bis zum Feld mit der Nummer 30 zurückgehen.«
    »Was habt Ihr gerade gesagt?« fragte ich beeindruckt.
    »Daß ich einmal aussetzen muß.«
    »Nein, davor!«
    »Von Gans zu Gans, ein neuer Tanz. Meint Ihr das?«
    »Von Gans zu Gans …« Ich deutete ein Lächeln an. »Kennt Ihr den Ursprung dieses Ausdrucks und seine Bedeutung?«
    »Soweit ich weiß«, stammelte er übelgelaunt, »ist es nur ein Spruch dieses Spiels, doch scheint Ihr mehr zu wissen.«
    »Nein, nein«, widersprach ich, »ich fand den Reim nur lustig.«
    Die Partie zwischen den beiden dauerte noch eine ganze Weile. Mit großem Interesse schaute ich zu, denn das Spiel ließ demjenigen keine Atempause, der sich nur langsam auf das Ziel zu bewegte: Als Jonas auf die Herberge kam, mußte er zweimal aussetzen; auf dem Feld des Brunnens mußte er warten, bis Niemand ebenfalls reinfiel, um wieder herauszukommen, und schließlich ließen ihn die Würfel sich im Labyrinth verirren, während Niemand eine Glückssträhne hatte und er ›von Gans zu Gans‹ zum Ziel eilte.
    »Gut, das Spiel ist also aus«, bemerkte Jonas und erhob sich, »gehen wir. Wenn wir so weitermachen, erreichen wir Logroño nie.«
    »Das Spiel ist noch nicht zu Ende, mein junger García. Du hast das Paradies noch nicht erreicht.«
    »Welches Paradies?«
    »Siehst du denn nicht, daß auf dem letzten Feld, dem großen in der Mitte, die Gärten Edens abgebildet sind? Schau dir die Brunnen und Seen, die grünen Wiesen und die Sonne an.«
    »Muß ich etwa allein fertig spielen, ohne mit anderen Spielern zu wetteifern?« fragte er überrascht. »Was für ein seltsames Spiel!«
    »Ziel des Spiels ist es, zuerst auf dem letzten Feld anzukommen, doch daß dies jemand vor dir geschafft hat, bedeutet noch lange nicht, daß du aufhören darfst. Du mußt deinen eigenen Weg gehen, dich den Schwierigkeiten stellen und sie überwinden, bevor du ins Paradies gelangst.«
    »Und wenn ich auf dieses Feld hier komme, das mit dem Totenkopf?« fragte er und deutete mit dem Finger darauf.
    »Das Feld Nummer 58 ist das des Todes, doch im Spiel (wie auch im wirklichen Leben, muß ich an dieser Stelle hinzufügen) bedeutet der Tod noch lange nicht das Ende. Wenn du dort draufkommst, kehrst du einfach zum ersten Feld zurück und beginnst wieder von vorn.«
    »In Ordnung, ich werde weiterspielen … aber an einem anderen Tag. Jetzt will ich wirklich aufbrechen.«
    Es lag soviel Aufrichtigkeit und Müdigkeit in seiner Stimme, daß Niemand seine

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