Iacobus
allein mitten auf dem Schlachtfeld sah, ging der Riese bedächtig auf ihn zu, hob ihn mit dem rechten Arm mitsamt seiner Rüstung hoch und trug ihn vor aller Augen in die Stadt, als wäre er ein frommes Lamm. Dann sandte Karl der Große Reinaldo de Montalbán, und sofort trug Ferragut ihn ebenfalls in das Verlies von Nájera. Danach schickte Karl Konstantin, den König von Rom, zusammen mit dem Grafen Hoel, und Ferragut warf sie beide gleichzeitig, den einen mit der Linken, den anderen mit der Rechten, in den Kerker. Schließlich schickte man zwanzig Kämpfer paarweise vor, die der Riese ebenfalls einsperrte. Als Karl der Große dies sah, wagte er es nicht mehr, weiteren Kriegern zu befehlen, gegen Ferragut zu kämpfen.«
»Und was geschah dann?«
»Dann erschien eines schönes Tages Roland, der tapferste Krieger Karls des Großen. Von dem Hügel herab, den du dort siehst, beobachtete er die Burg des Riesen von Nájera, und als Ferragut im Tor erschien, hob Roland vom Boden einen runden Stein von etwa fünfundzwanzig Kilo Gewicht auf, schätzte sorgfältig die Entfernung ab, nahm Anlauf und warf den Gesteinsbrocken dem Riesen zwischen die Augen, was ihn auf der Stelle niederstreckte. Seit damals kennt man diese Anhöhe hier unter dem Namen Poyo de Roldan.«
»Aber weißt du, was das beste an dieser ganzen Heldentat ist, García?« fragte ich meinen Sohn, und ein Lächeln umspielte meine Lippen. »Daß die Geschichte Zeugnis davon ablegt, daß Karl der Große nie spanischen Boden betreten hat. Er machte in den Pyrenäen halt, in Roncevalles, doch kam er nie darüber hinaus. Erinnerst du dich an den Friedhof von Aliscamps in Arles, wo der Sage nach die zehntausend Krieger des Heers Karls des Großen liegen? Er konnte also nie bis Nájera kommen. Was hältst du davon?«
Der Junge schaute mich verwirrt an, dann lachte er los und schüttelte den Kopf mit der herablassenden Haltung eines weisen Alten, der die Welt nicht mehr versteht. Auch Niemand brach in ein sonores Lachen aus, das zu meinem das Echo bildete.
Wir ritten weiter und ließen Huércanos rechts und Alesón links liegen. Kurz darauf erreichten wir Nájera, nachdem wir eine Brücke mit sieben Bogen über den Río Najerilla überquert hatten. Nájera hatte sehr unter seiner Lage als Grenzstadt zwischen Navarra und Kastilien gelitten und dabei wiederholt die Kämpfe zwischen beiden Königreichen erduldet, bis es letztlich an Kastilien fiel. Im Adelskloster Santa María la Real, das 1052 von einem Namensvetter Jonas', García III. Sánchez de Nájera, gegründet worden war, fanden wir Unterkunft. Wir richteten unser Lager aus Roggenstroh und weichen Schafsfellen her, aßen uns an den köstlichen Speisen satt, die man uns vorsetzte (Gerstenbrot, Speck, Käse und frische Saubohnen), ergriffen unsere Pilgerstäbe und begaben uns auf die Suche nach der schwer faßbaren Sara. Zu meinem Leidwesen konnte ich mich dieses Mal weder von Jonas noch von Niemand lossagen.
Noch im Licht der Abenddämmerung durchschritten wir die schweren, eisenbeschlagenen Eichentore des großen Judenviertels der Stadt. Es herrschte eine teuflische Kälte, und die Feuchtigkeit durchdrang unsere Kleidung bis auf die Knochen. Im Gegensatz zu Estella schätzte man in Nájera die Juden sehr, die ohne Angst, durch die Adeligen Unrecht zu erleiden, in allen Vierteln und wichtigen Straßen des Stadtzentrums Geschäfte errichtet hatten, insbesondere um den Marktplatz und den Palast von Doña Toda herum.
Das jüdische Viertel von Nájera glich in seinem Aufbau dem Pariser Judenviertel und den calls von Aragón und Navarra: enge Gassen, Mauergänge, kleine Häuser mit Innenhöfen und Holzzäunen, öffentliche Bäder … Die Hebräer, wo auch immer sie siedelten, über alle Grenzen und Kulturen hinweg, bildeten ein Volk, das durch die Thora leidenschaftlich miteinander verbunden war, und ihre eigenen Stadtviertel (wahre umfriedete Städte innerhalb der eigentlichen christlichen Ansiedlungen) bewahrten sie vor fremden Glaubensrichtungen, Bräuchen und Verhaltensweisen. Ihre Angst vor einem neuen Exodus ließ sie nur Arbeiten annehmen, deren Erträge im Falle der Vertreibung nicht schwer zu transportieren waren, weshalb die meisten von ihnen große Gelehrte und hochgeschätzte Handwerker waren, wohingegen die, welche sich dem Kreditwucher widmeten und große Gewinne damit erzielten, oder die, welche den Zehnt für die christlichen Könige eintrieben, in der Bevölkerung einen wilden Haß
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