Iacobus
weckten.
In den Gassen des Viertels fragten wir jeden, den wir trafen, ob er von einer französischen Jüdin namens Sara gehört hätte, die dort am selben Tag oder vielleicht am vorigen durchgekommen sein mußte, doch wußte uns niemand Näheres zu berichten. Als uns endlich ein Anwohner den Fingerzeig gab, einen gewissen Judah Ben Maimón zu befragen, einen renommierten Seidenhändler, dessen Geschäft Versammlungsort für die Ältesten des Judenviertels von Nájera war, beschlossen wir, ihm einen Besuch abzustatten, denn falls die Französin dort vorbeigekommen war, so wußte er es mit Sicherheit und konnte uns Auskunft geben.
Judah Ben Maimón war ein ehrwürdiger Alter mit langen weißen, geringelten Koteletten. Sein runzeliges Gesicht strahlte großen Ernst aus, und seine schwarzen Augen leuchteten intensiv im Schein der Glut. Ein penetranter Geruch nach Färbemitteln durchzog den schmalen, wenn auch üppig ausgestatteten Laden, von dessen mit Leinen bespannter Decke wundervolle, gefärbte Stoffe hingen, die im Licht der Flammen in allen Regenbogenfarben schillerten. Eine Verkaufstheke auf der einen Seite und gegenüber Konsolen, auf denen sich Rollen von persischer und maurischer Seide türmten, bildeten die ganze Einrichtung.
»Womit kann ich Euch zu Diensten sein, edle Herren?«
»Schalom, Judah Ben Maimón«, begrüßte ich ihn und trat einen Schritt auf ihn zu. »Man sagte uns, daß Ihr der richtige Mann seid, um uns Auskunft über eine Jüdin zu geben, die während der letzten Stunden in Nájera vorbeigekommen sein muß. Sie heißt Sara und stammt aus Paris.«
Einige Augenblicke lang rührte Judah sich nicht, während er uns eingehend und mit unverhohlener Neugier betrachtete.
»Was wollt Ihr von ihr?« fragte er.
»Wir haben sie vor kurzem in ihrer Heimatstadt kennengelernt, und vor einigen Tagen berichtete man uns in Puente la Reina, daß sie sich wie wir auf dem Weg nach Burgos befindet. Wir würden sie gern wiedersehen und glauben, daß sie nichts dagegen haben wird.«
Die Finger des Juden begannen auf der Theke zu trommeln, während er den Kopf senkte, als ob er eine wichtige Entscheidung zu treffen hätte. Kurz darauf blickte er wieder auf.
»Wie heißt Ihr?«
»Ich bin Don Galcerán de Born, ein Jakobspilger, und das hier ist mein Sohn García. Der alte Mann ist ein Reisegefährte, der es für angebracht hielt, sich uns anzuschließen.«
»Gut. Wartet hier«, sagte er und verschwand hinter einigen Vorhängen.
Jonas und ich schauten uns erstaunt an. Ich zog die Brauen hoch, um ihm meine Verwirrung zu zeigen, was er seinerseits mit einem Hochziehen seiner Schultern quittierte. Noch war er mitten in der Bewegung, als sich der Vorhang wieder hob und Saras verblüfftes Gesicht vor uns erschien.
»Aber wie ist das möglich?« Sie schrie fast.
»Sara die Zauberin!« rief ich und brach in Lachen aus. »Wo habt Ihr Eure schwatzhafte Krähe gelassen?«
»Sie ist in Paris im Haus einer Nachbarin geblieben, der ich meine Zauberutensilien verkauft habe.«
Sara lächelte. Welch bezauberndes Lächeln! Zweifellos war ich Opfer eines Zauberbanns geworden, denn ich konnte kein Auge von ihr lassen. Wie durch einen Nebelschleier bemerkte ich, daß sie ihr seltsames weißes Haar hinten am Kopf in einem Netz zusammengefaßt und ihre perlmuttfarbene Haut einen warmen, goldenen Ton angenommen hatte, der zweifellos der Reise zuzuschreiben war, und daß ihre Muttermale und Sommersprossen immer noch an denselben Stellen zu finden waren, die sich mir viel zu genau eingeprägt hatten. Wie immer, wenn ich ihr gegenüberstand, mußte ich meine Emotionen eisern im Zaum halten.
Ich befand mich genau in der Lage, die ich eigentlich bei einem Zusammentreffen mit Sara hatte vermeiden wollen: Sie wußte, daß Jonas mein Sohn war, doch hatte sie versprochen, ihn wie meinen Knappen zu behandeln, was der Junge auch zu sein glaubte; andererseits stand dort nun Niemand, der dank einer Lüge glaubte, daß Jonas mein Sohn war, was ja auch den Tatsachen entsprach. Was sollte ich bloß tun? Ich mußte schleunigst die Zügel in die Hand nehmen, bevor irgend etwas nicht wieder Gutzumachendes geschah.
»Hier seht Ihr auch meinen Sohn García. Erinnert Ihr Euch an ihn, Sara?«
Verständnislos blickte Sara mich an, doch da sie eine scharfsinnige Frau war, zeigte sie sich der Situation gewachsen, als sie mich den Blick unmerklich auf den Alten richten sah.
»Ich freue mich, Euch zu sehen, García«, erwiderte sie und stellte sich
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