iBoy
geschah. Ich hatte keine Kontrolle darüber. Es geschah einfach … und, wie ich schon sagte, eigentlich hätte es unmöglich sein müssen.
Doch es war nicht unmöglich.
Es geschah.
Auch andere Dinge geschahen. Als ich dalag und versuchte, die unmögliche Wahrheit zu verdauen, spürte ich ein heißes Glühen in meinem Kopf, ein warmes Kribbeln rings um die Narbe herum. Es fühlte sich merkwürdig an, irgendwie flimmernd, und es gefiel mir nicht.
Ich stand auf und ging zum Spiegel an meiner Wand.
Zuerst glaubte ich nicht, was ich sah. Es musste etwas anderes sein, ein Spiel des Lichts, eine verzerrte Spiegelung … doch als ich mich näher heranbeugte und mein Gesicht im Spiegel aufmerksam betrachtete, wusste ich, dass es
tatsächlich
da war. Die Haut um die Wunde herum flimmerte, vibrierte fast, als ob sie lebendig wäre. Sie strahlte, glühte in tausend Farben, Formen, Wörtern, Symbolen … die sich alle ständig veränderten, ineinanderflossen, schwebten, sich treiben ließen, nach unten sanken, wieder aufstiegen und pulsierten wie Schwärme winziger vielfarbiger Fische.
Ich hob die Hand und führte sie an die flimmernde Wunde … dann stockte ich und erinnerte mich an das letzte Mal, als ich sie berührt hatte. An den Stromschlag. Ich holte tief Luft, stieß sie langsam wieder aus, dann beendete ich irgendwas, ohne zu wissen, wie ich das tat. Das Flimmern verging.
»Alles okay«, hörte ich mich murmeln. »Jetzt ist es in Ordnung. Vertrau dir.«
|48| Vorsichtig bewegte ich meinen Finger auf die Wunde zu, zögerte einen Moment und berührte sie dann.
Nichts geschah.
Kein Stromstoß.
Nur ein feines Kribbeln.
Ich fuhr mit dem Finger behutsam an der Wunde entlang, spürte die erhabene Haut, das nachgewachsene Fleisch … und unter alldem, vielleicht auch darin, spürte ich ein Gefühl von Kraft. Es war keine physische Wahrnehmung, mehr so ein Gefühl für das
Potenzial
… wie wenn man die Oberfläche von einem Laptop oder einem iPhone berührt. Verstehst du, was ich meine? Du
spürst
nicht wirklich etwas, aber irgendwas sagt dir, dass da eine Kraft unter deiner Fingerkuppe liegt, eine Kraft, wunderbare Dinge zu tun.
Genau so fühlte sich mein Kopf an.
Ich nahm meinen Finger weg.
Ich sah mich an.
Ich schüttelte den Kopf.
Unmöglich.
Für einen Moment schloss ich die Augen, öffnete sie wieder und –
klick!
– machte ich ein Foto von mir selbst im Spiegel. Ich betrachtete es, mailte es an mich selbst, geokodierte es, speicherte es und löschte es dann.
Unmöglich.
Alles ist theoretisch unmöglich, bis es getan wird.
Robert A. Heinlein
Zweimal Pluto und zurück
(1952)
http://www.quotationspage.com
Auf Wiedersehen, Normalität. Es war schön, dich zu kennen.
|49| 110
I’ve been used/been abused/I’ve been bruised/I’ve been broken
Pennywise
Broken
Es war so gegen halb acht Uhr abends, als ich an Grams Tür klopfte, um mit ihr zu reden. Die Vorhänge standen noch offen, sodass ich durchs Fenster sah, wie sich der letzte orangerote Schein des Sonnenuntergangs über dem fernen Horizont verlor. Gram saß an ihrem Schreibtisch, umgeben von Blättern und Büchern, Aschenbechern und leeren Kaffeetassen.
»Wie geht’s dir?«, fragte sie mich.
»Danke, gut.«
»Konntest du schlafen?«
»Ja, ein bisschen.«
»Hast du Hunger?«
»Nein … nein, alles in Ordnung, danke.«
Sie lächelte mich an. »Was hast du auf dem Herzen?«
»Na ja …«, sagte ich. »Ich hab gedacht, ich geh vielleicht mal zu Lucy hoch, verstehst du … bloß so, um Hallo zu sagen, zu sehen, wie es ihr geht. Was meinst du? Glaubst du, das ist okay?«
|50| »Ich weiß nicht«, sagte Gram zögernd. »Wahrscheinlich … wenn Michelle es für richtig hält … und Lucy sich das zutraut. Ich meine, sie wird noch nicht mal die Wohnung verlassen haben, seit es passiert ist …« Gram sah mich an. »Kann sein, dass sie niemanden sehen will, erst recht keinen Jungen …«
»Ja, ich weiß. Aber ich dachte, wenn ich vorher ihre Mum frage … einfach frage, ob Lucy mich sehen will … wenn sie Nein sagt, kann ich ja wieder gehen. Ich werd sie bestimmt nicht drängen.«
»Wie wär’s, wenn du erst mal anrufst?«, schlug Gram vor.
Ich schüttelte den Kopf. »Hab ich auch schon dran gedacht, aber irgendwie kommt es mir falsch vor. Ich würd lieber einfach nach oben gehen.«
»Na gut … aber pass auf dich auf, Tommy.«
»Ja.«
Als sie die Hand ausstreckte, um
Weitere Kostenlose Bücher