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Titel: iBoy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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murmelte ich vor mich hin. »Diese Arschlöcher   …«
    Ich wartete, bis mein Kopf aufhörte zu pochen, dann holte ich noch einmal Luft, um mich zu beruhigen, hob die Hand und klingelte.
     
    Lucys Mum hatte früher eine Menge Probleme mit Alkohol und Drogen gehabt. Bis auf kleine Ausrutscher ab und zu lag das inzwischen hinter ihr – doch als sie die Tür öffnete und mich ansah, war ich mir sicher, dass alles wieder von vorn angefangen hatte. Sie sah schlimm aus. Ihre Haut wirkte stumpf und gräulich, ihre blutunterlaufenen Augen blickten nur vage in meine Richtung, und es schien, als ob sie sich mindestens |54| eine Woche lang nicht gewaschen und gekämmt hätte.
    »Hallo, Mrs Walker«, sagte ich. »Ich bin’s   … Tom.«
    Sie blinzelte mich an.
    »Tom Harvey«, erklärte ich. »Lucys Freund   …?«
    »Ach so, ja   …klar. Natürlich, Tom   … entschuldige. Ich bin gerade aufgewacht. Ich hab nur   … äh   …« Sie rieb sich die Augen. »Wie geht’s dir, Tom?« Plötzlich entdeckte sie die Wunde an meinem Schädel. »O Gott   …
natürlich
… dein Kopf   … du warst ja im Krankenhaus. Tut mir leid, hatte ich ganz vergessen   …«
    »Schon gut«, antwortete ich. »Kein Problem.«
    »Nein? Also, ich meine   … ich   …« Sie blinzelte heftig. »Seit wann bist du wieder zu Hause, Tom?«
    »Seit heute. Heute Morgen   …«
    »Ach so, verstehe   …«
    »Ich dachte   –«
    »Wolltest du zu Lucy?«
    »Also nur, wenn   –«
    »Komm rein, komm rein   … ich schau mal, ob sie wach ist. Sie hat geschlafen   … sie ist jetzt meistens sehr müde.«
    Als ich Mrs Walker in den Flur folgte und die Tür hinter mir schloss, fühlte ich mich ziemlich unwohl. Mein Kopf war voller Zweifel: Vielleicht war Lucys Mum gar nicht in der richtigen Verfassung, um einzuschätzen, ob ich nun reinkommen sollte oder nicht? Vielleicht hätte ich besser draußen warten sollen? Vielleicht hätte ich überhaupt gar nicht raufkommen sollen? Aber zum Umkehren war es jetzt zu spät. Ich war Mrs Walker schon ins Wohnzimmer gefolgt.
    »Warte einen Moment hier«, sagte sie. »Ich werd mal gucken, ob sie wach ist.«
    |55| Ich sah ihr nach, wie sie in ihrem Zimmer verschwand (und fragte mich, wieso sie in
ihr
Zimmer ging und nicht in Lucys), dann schaute ich zu Ben rüber, der auf dem Sofa saß und fernguckte. Obwohl die Schwellungen im Gesicht zurückgingen und die Schnittwunden anfingen zu heilen, war deutlich zu sehen, dass es ihn übel erwischt hatte. Er saß ziemlich zusammengekrümmt da, was bestimmt mit seinen gebrochenen Rippen zu tun hatte, und das linke Handgelenk war stark verbunden.
    »Hey, Ben«, sagte ich. »Wie geht’s?«
    Er starrte mich an. »Was glaubst du wohl?«
    Ich sah mich um. Die Wohnung war das reinste Chaos. Leere Pizzaschachteln auf dem Boden, überall Flaschen, Dosen und dreckige Teller. Auf dem Esstisch stapelten sich Anziehsachen, auf einem Bügelbrett Zeitungen. Die Vorhänge waren geschlossen. Im Zimmer war es dämmrig.
    Ich drehte mich wieder zu Ben um. »Magst du drüber reden?«
    »Nein.«
    »Okay, wie du willst   … aber wenn du deine Meinung änderst   –«
    »Ich hab
Nein
gesagt, kapiert?«
    »Alles klar.«
    Dann kam Mrs Walker aus ihrem Schlafzimmer. Sie lächelte mich vage an und sagte: »Bleib aber nicht zu lange, Tom, ja? Sie ist es noch nicht gewohnt, Leute zu treffen   … sie wird sehr schnell müde.«
    Ich sah sie an.
    Wieder lächelte sie, dann wies sie mit einem zittrigen Kopfrucken auf die offene Schlafzimmertür, was wohl hieß, ich sollte reingehen. Ich warf Ben noch einen Blick zu, sah, dass |56| er ins Fernsehprogramm versunken war, und trat in das Zimmer.
     
    Die Vorhänge waren zugezogen, das einzige Licht kam von dem schwachen orangefarbenen Glühen eines Heizstrahlers. Irgendwas ließ den Raum wie ein Krankenzimmer wirken. Vielleicht die stickige Luft   … das gedämpfte Licht und dass alles so kraftlos schien. Keine Ahnung. Auf jeden Fall kam es mir vor, als hätte das Zimmer kein Leben.
    Lucy saß auf dem Bett, die Knie eng an die Brust gezogen. Sie trug einen schlabberigen alten Pullover, eine ausgeleierte Jogginghose und dicke Wollsocken. Als ich in der Tür stand und versuchte zu lächeln, so gut es ging, sah ich sofort, dass sie nicht mehr dieselbe Lucy war. Ihr Gesicht war ganz blass, die Haut stumpf und irgendwie machte sie den Eindruck, als ob sie in sich zusammengefallen wäre. Es war, als ob ihr ganzes Ich – ihr Körper, ihr Wesen, ihre Seele

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