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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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nicht, denn das Containerschiff hatte wegen eines schweren Sturms Verspätung gemeldet. Wenigstens hatte der Orkan nur den Zeitplan unserer Wagenverschiffung umgeworfen und nicht das Schiff selbst.
    Geduldig verbrachten wir die Tage bei unserer Gastmutter Joan. Sie betrieb eine kleine gemütliche Privatpension, ein »bed & breakfast«, und verhökerte zwischendurch, trotz nahendem Rentenalter, Immobilien. Obwohl ihr viktorianisches Holzhaus nur einige Gehminuten vom Stadtzentrum von Halifax entfernt lag, wurde nie abgeschlossen. Die Haustür stand für alle offen. Joans Willkommensgruß »Feel yourself at home« umschrieb ihre Gastfreundlichkeit wohl am besten. Böse Langfinger schien es in Kanada nicht zu geben. Zumindest beruhigte uns diese friedvolle, naive Vorstellung beim Anblick der offenen Haustür.
    Joans Einrichtungsgegenstände zeigten die alten britischen Einwandererwurzeln. Es ging üppig dekorativ zu. Bestickte Spitzentischdeckchen lagen im gesamten Haus unter Figuren und Vasen. Auch eine Urne ruhte auf dem Spitzendeckchen. Die Aufschrift »ash of my ex-husband« symbolisierte Joans schwarzen, gradlinigen Neufundlandhumor. Dagegen waren die unzähligen Bilderrahmen an den Wänden opulent verschnörkelt. Die dargestellten, altbritischen Ölmotive wirkten, im Gegensatz zu ihrer Besitzerin, düster und farblos. Sie zeigten zu realistisch die raue See mit alten Segelschiffen im Sturm, auf denen die überwiegend schottischen Einwanderer an- oder umgekommen waren. Nova Scotia, Neuschottland, das neue Stück Heimat auf dem amerikanischen Kontinent. In jeder Ecke des Hauses standen auf knarrenden Holzdielen alte Kommoden, mit Gold beschlagene Schränke und verzierte Beistelltische aus der viktorianischen Zeit. Lange Läufer und flauschige Teppiche lagen ebenso auf dem gebohnerten Boden wie Joans schmuddelig weißer Yorkshire Terrier namens Cody.
     
    Joan genoss unsere Gesellschaft auch außerhalb der Pensionswände und zeigte uns mit ihren Augen ihre Heimat. »Heute lernt ihr mal eine andere Ecke von Halifax kennen. Wir können eine Kleinigkeit essen und danach muss ich noch Einkäufe erledigen«, mit diesen Worten stiegen wir in ihren pferdestarken, tiefer gelegten und flammenroten Sportwagen und fuhren los.
    Nachdem wir wenige Kilometer gefahren waren, verschwand die Stadt in unserem Rückspiegel und es schloss sich eine vor kurzem neu entstandene Geschäftsstadt im Außenbezirk an. Diese Neuheit ohne Einkaufsatmosphäre, aber mit gigantischen Parkflächen und Überdachungen, sollte den Besuch der hübschen Innenstadt von Halifax ersetzen.
    Joan bog zielstrebig auf einen langweilig geteerten Restaurantparkplatz ein. Die landesweite Restaurantkette, zu der ein Betonbau gehörte, stand nicht wie der Klassiker »Tim Hortons« für genießbares Essen zum günstigen Preis, sondern für massentaugliche Geschmacklosigkeit mit gepfefferten Preisen. Es war kein Ort unserer Wahl, aber wir folgten Joan ohne Murren auch hierhin. Wir genossen ihre Gesellschaft, egal wo es war.
     
    Joan, Birte und ich stiegen aus dem Wagen und traten in einen überhitzten Restaurantbau. Die dunkle Wand- und Deckenvertäfelung ließ mit der Raumgröße auch gleich unsere ausgelassene Stimmung schrumpfen. Die gewollte Landhausidylle mit »german Gemütlichkeit« erstickte im morbiden Eichenholzimitat. Der zusätzliche, schwere Plüsch versprühte stattdessen eher den Charme einer Quartalssäuferbude in den Alpen, in der die verstaubten Jagdtrophäen von der Wand gefallen waren, genauso wie die letzten Gäste von ihren Barhockern. Miefiger Geruch durchsetzte den sauerstoffarmen Raum. Lange Neonröhren an der Decke schafften Helligkeit, die von kleinen, romantisch anmutenden Stehlämpchen auf einzelnen Tischen unterstützt wurde.
    Eine oberflächlich freundliche Kellnerin wies uns einen Tisch zu und gab uns gnädige drei Minuten für die Auswahl aus der zwanzigseitigen Speisekarte. Dann stellte sie sich, mit einem handlichen funkvernetzten Bestellcomputer ausgerüstet, demonstrativ vor uns auf.
    Unser Entscheidungsmarathon für ein einfaches Frühstück begann und wir hatten das Gefühl, dass ein gerannter Marathon hiergegen wie ein schweißloser Spaziergang ausfallen würde. In diesem Restaurant mussten Entscheidungen zügig gefällt werden. Gleichzeitig gab es eine erschlagende Anzahl an Optionen für identische Dinge, die jedoch alle anders verpackt waren. Das Frage-Antwort-Spiel mit der Kellnerin war voll im Gange und mutete absurd an.

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