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iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche

Titel: iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birte Jeß , Ingo Schmitz
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Aber für dieses Erlebnis musste man ja nicht mehr bis nach Kanada reisen. Die angebliche deutsche Servicewüste versucht eifrig ihr Image aufzupolieren und dem nordamerikanischen Beispiel zu folgen. Kritiklos wird vieles eins zu eins kopiert.
    Als Birte dran war, sagte sie: »I would like to have an Earl Grey tea, please.«
    »With one bag?«
    Die Frage schien bei Birte Verwirrung zu stiften.
    »Wieso zum Henker soll ich den Tee in einer Tüte nach Hause tragen wollen?, fragte sie mich verwirrt.
    Bevor ich sie aufklären konnte, antwortete sie bereits: »I would like to drink it now, please.« Was so viel hieß, wie »Jetzt. Hier. Mehrweg«.
    Das Grinsen der Kellnerin wirkte leicht arrogant, was sich durch das Hochziehen ihrer Nasenspitze verriet. Sie entgegnete Birte jedoch professionell mit einer, dieses Mal grammatikalisch korrekten Frage, ob sie den Tee mit einem oder zwei Teebeuteln trinken wollte.
    Birte schlug sich lachend mit der flachen Hand gegen die Stirn und sagte zu mir auf Deutsch: »Ich deutscher Geschmacksbanause! Auf die Idee muss ich erst mal kommen. Die kleine Pfütze Wasser wird zwar an einer Überdosis Tee und Kundenservice bitter verrecken, aber möglicherweise auch den ekelhaften Chlorgeschmack des Leitungswassers übertünchen.«
    »With one bag, please«, antwortete Birte kurz, trotz der unbestreitbaren Situationskomik.
    Joan grinste uns an. Sie amüsierte sich königlich. So häufig war sie nicht mit Ausländern zusammen, die diese Art des sinnlosen Kundenservice mit ihrer erschlagenden Entscheidungsflut hinterfragten. Ihr war das so bisher noch gar nicht aufgefallen, aber nun empfand sie es als drollig.
    Das Drama nahm seinen Lauf und ging mit meiner Bestellung in die nächste Runde. Die Kellnerin fragte mich, wie ich meine bestellten Eier gerne möchte.
    »In diesem Kundenparadies gekrault«, flüsterte Birte mir wieder auf Deutsch über den Tisch zu.
    Ich musste über beide Ohren grinsen. Als ich dann noch so romantisch verklärte Begriffe wie »sunny side up« oder »over easy« für die Beschreibung eines Spiegeleis hörte, machte ich mir beinahe in die Hose. Einige Dinge verloren auch nach tausendmaligem Hören nicht an Schrulligkeit. Würde ich mich vor Lachen nass machen, käme bestimmt die Frage der Kellnerin, ob ich meine Hose gereinigt, gebügelt oder geföhnt bekommen möchte.
    Ich empfand diesen Entscheidungsirrsinn als bescheuert und den Unterschied zu den letzten Wochen auf Kuba als gigantisch. Zuhause fiel mir so ein Unsinn manchmal schon gar nicht mehr auf, nur dass ich mich in einigen Restaurants wohler als in anderen fühlte.
     
    Das Essen kam im Eiltempo aus der Restaurantküche und wurde von der Kellnerin freundlich serviert. Wir aßen und mit dem letzten Bissen lag auch schon die computerausgedruckte Rechnung auf dem Tisch. Die Schnelligkeit lud nicht dazu ein, das begonnene Gesprächsthema noch in Ruhe zu beenden. Die drei abgezählten Bonbons auf dem Rechnungsteller hätte ich am liebsten gegen drei aufräumende Jägermeister eingetauscht, denn das Essen lag mir beim Verlassen des Restaurants, wahrscheinlich wegen der Massen an Künstlichkeiten & Co., tonnenschwer im Magen. Meine interne Biogasanlage lief bereits auf Hochtouren. Das Essen hatte zwar essbar ausgesehen, aber bekömmlich war es nicht.
    Wir verließen das Restaurant, gingen zu Joans rotem Rennwagen, der einen Farbklecks in das Grau der Betonbauten zauberte, und stiegen ein. Sie fuhr auf dem Schnee zackig um die Ecken der dicht gedrängten Neubauten auf einen anderen geteerten Parkplatz, dieses Mal jedoch vor einen Supermarkt. Sie hätte auch wie ein fieser Taxifahrer zehnmal um den gleichen Block fahren und wieder vor dem Restaurant von eben stehen können: Den Unterschied hätten wir in der Gleichförmigkeit der Bebauung nicht erkennen können.
     
    Mein Kopf drehte sich beim Gang in den Supermarkt ebenso reflexartig und schnell wie meine Augäpfel. Großformatige Werbeplakate, Warnhinweise in beißenden Farben und andere unzählige Schilder und Blinkdisplays rahmten uns ein. Grell, schreiend, fies. Meine Pupillen flackerten unruhig beim Fokussieren der unterschiedlichen Objekte.
    Die auf Kuba erfolgte Rekalibrierung meiner Sinnesorgane und Wahrnehmung löste sich im Wohlstandsgetümmel bereits wieder auf. Das was Kuba zu wenig oder gar nicht gehabt hatte, empfand ich jetzt in diesem riesigen Einkaufstempel als zu viel. Aber Wohlstand war ja leicht zu verteufeln, wenn man sich als Wohlstandskreatur

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