iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
mich zur Konzentration zwingen, denn wichtige Gespräche und Verhandlungen standen an und Entscheidungen mussten getroffen werden. Bei chinesischen Geschäftspartnern gab es kein schnelles Ja oder müheloses Nein. Gute zwischenmenschliche Beziehungen mussten vorher aufgebaut werden. Diplomatische Umschreibungen und vorsichtiges Verhandeln waren notgedrungen einzuhalten, damit die chinesischen Partner immer »ihr Gesichte wahren« konnten. Es waren einige wichtige, geschäftliche Spielregeln zu beachten, die ich vor vielen Jahren durch Fehlschläge erst hatte lernen müssen.
Das Tagespensum der Messe war immens und die Überfrachtung an Sinneseindrücken gewaltig. Das Gehirn und der Körper arbeiteten auf Hochtouren.
Gegen den dumpfen Kopfschmerz nahm ich morgens prophylaktisch eine Schmerztablette ein, deren Wirkung aber früh am Tag nachließ. Zu früh, denn die Ausdünstungen von toxischen Plastikweichmachern, ätzenden Klebstoffen, schädlichen Lacken, übelriechenden Drüsensekreten und Blähungen der Besucher, die wie eine erdrückende Gewitterwolke in der Luft hingen, wirkten gnadenlos – obwohl alles regelmäßig, von der im Akkord arbeitenden Klimaanlage neu durchmischt und umgewälzt wurde. Die verbrachten Stunden in den Messehallen fühlten sich wie Tage an. Und trotzdem hielt ich alles scheinbar mühelos durch.
Nach dem Verlassen der Messehallen ging die Arbeit weiter. Jeden Abend musste das Gedächtnis mit technischen Hilfsmitteln für den nächsten Tag wieder frei geräumt werden. Die Datenbanken füllten sich mit umfangreichen Informationen. Visitenkarten, Muster, Firmenbroschüren und Preislisten lagen dafür sorgfältig geordnet auf meinem Hotelbett. Eine Masse an Informationen, die nach einem Tag schnell zu einem undurchdringbaren Wust wurden. Die digitale Kamera übertrug unzählige Fotos auf mein Notebook. Ich hörte meine Mailbox ab und beantwortete empfangene Emails. Schließlich war es Mittagszeit und ein normaler Arbeitstag in Deutschland.
Während ich mich auf meinem Hotelbett kurz ausruhte, nahm ich reflexartig die Fernbedienung in die Hand und machte den Fernseher an. Stille im Hotelzimmer war nach einem anstrengenden Messetag nicht auszuhalten. Ich schaltete von einem Kanal zum nächsten und ließ mich stumpf berieseln. Das Weltgeschehen des Tages flimmerte über den Bildschirm: hektische Schnitte, dröhnende Geräusche und flackernde Lichter. Die zusätzliche Bandbreite an Informationen reichte von anspruchsvoll zu banal, vom Dalai Lama zu Paris Hilton, vom afghanischen Kriegsschauplatz zum Handtascheninhalt einer hüpfenden Popzicke. Auch den kleinen privaten Wehwehchen irgendwelcher Schauspielsternchen, von denen gewichtig berichtet wurde, entkam ich nicht. So erschlagend die Masse unterschiedlichster Nachrichten und Informationen war, so gering war auch ihre Halbwertszeit. Im Gewirr meiner Nervenzellen zerfielen die Sätze in einzelne Buchstaben und das Fernsehflimmern in seine Farbpunkte, bis nichts mehr übrig blieb.
Mein Kopf nahm, ähnlich wie ein Speicherchip, alles auf. Bits und Gigabytes verschwanden in ihm, größtenteils jedoch unreflektiert und unverarbeitet. Wie viel Energie und Speicherplatz mein Notebook umfasste, dass wusste ich. Ausbauen, beschleunigen oder aufstocken war nahezu unbegrenzt möglich. Wie viel Speicherkapazität in meinem Kopf noch frei war oder ob meine körpereigenen Systeme richtig arbeiteten, konnte ich nur erahnen. Mein Computer besaß ein Display, ich hatte keins.
Aber ganz ehrlich, ich wollte meine Anzeige auch gar nicht sehen, denn ich tat das meiste ja bereitwillig und auch gern.
Das Ausruhen auf dem Hotelbett durfte nur kurz sein. Unproduktive Pausen gab es auf den Geschäftsreisen so gut wie nie. Die Gelegenheit Geschäftspartner zu treffen, die ansonsten auf der gegenüberliegenden Seite der Erdkugel in ihren Büros oder Produktionsstätten arbeiteten, musste ausgenutzt werden. Ich schuf mir aus den Abenden weitere Tage und nahm die Einladungen der Geschäftspartner an: Ich sang peinliche Karaokelieder unter ungemütlichen Neonröhren, lehnte aber die freundlich gemeinten Einladungen zur Teilnahme an Hinrichtungen ab. Ich stand mit Gesellschafterinnen in dubiosen Clubs Trinkspiele durch, ließ mir aber keine erotische Massage verpassen.
Auf das kulinarische Abendprogramm mit einheimischem Essen wartete ich jedes Mal mit neugieriger Freude und empfand es immer wieder von neuem als persönliche Bereicherung. Denn »die Kantonesen«, sagt
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