iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
war ich gefesselt und fühlte mich wie eingeschnürt. Die wenigen anderen Kunden im Supermarkt kamen mir wie eine riesige Menschenansammlung vor. Eine Menge, die ich nicht mehr überschauen konnte und die mich unkontrolliert einnahm. Die schnellen hektischen Handgriffe der Verkäuferin verunsicherten mich. Die Lautsprecherdurchsage »die Zwölf an Fünfundvierzig, bitte« drang als dubiose Geheimsprache an mein Ohr. Unsägliche Einkaufsmusik in der ewig gleichen Tonlage dudelte im Hintergrund. Zusammen addierte sich für mich alles zu einer scheinbaren Überforderung. Mich überkam ein Gefühl von Panik.
Der Schwindel tauchte wieder auf, ich bekam weiche Knie und suchte Halt an der Ablage neben der Kasse. Ich geriet nicht sukzessiv und berechenbar ins Taumeln, sondern mit aller Wucht. Mein vegetatives Nervensystem schien plötzlich zu rebellieren und mich in meiner Handlung stoppen zu wollen. Vegetativ hieß es dann wohl auch, weil ich es tatsächlich nicht mehr rational kontrollieren konnte. Meine Körperfunktionen gehorchten mir nicht mehr.
Bitte, nur nicht umkippen, flehte ich mich still an. Ich vergaß, vor Angst zu atmen.
Immer mehr Augenpaare starrten auf meine Reglosigkeit.
Birte hetzte mit dem letzten fehlenden Teil neben mir an die Kasse. Sie gab es der Kassiererin und merkte sofort an meinem Aussehen, dass etwas nicht stimmte. Ich hatte nur ihr, und keinem anderen, von meinem Schwindel im Büro erzählt. Sie guckte mich an, um beruhigend zu sagen: »Geh ruhig schon mal nach draußen an die frische Luft.«
Die Kassiererin schaute neugierig zwischen Birte und mir hin und her. Was sie dachte, konnte ich mir vorstellen: Ein Mann, der noch nicht mal den einfachsten Einkauf erledigen konnte. Bleibt doch alles an uns Frauen hängen.
Ich drehte mich um, ohne ein Wort zu sagen, japste aber leise nach Luft. Meine Beine brachten mich, trotz eines flauen Gefühls in der Muskulatur, von den Blicken der Wartenden und der Kassiererin weg.
Echtes »Hamburger Schietwetter« empfing mich draußen vor der Tür. Feiner Nieselregen tauchte alles in ein undefinierbares Grau. Eine knapp über dem Gefrierpunkt liegende Kälte kroch bis in meine Haarspitzen, verspannte jeden Muskel und drückte aufs Gemüt. Die Wetterlage passte zu meiner Stimmung. Reflexartig zog ich die hängenden Schultern hoch und ging zum Parkplatz.
Als ich mich in den Fahrersitz meines Wagens fallen ließ, verstummten die meisten Geräusche um mich herum. Nur die Regentropfen prasselten leise auf das Autodach und ich hörte mein Blut rauschen. Die zarten Töne beruhigten mich. Ich atmete die kalte Luft kräftig ein. Mein Herz schlug immer noch wie wild gegen die Innenseiten meiner Rippen. Die Atmung wurde ruhiger. Aus meiner Beinmuskulatur verschwand das weiche Puddinggefühl und die gewohnte Kraft kehrte langsam zurück. Der kalte Schweiß stand mir auf der Stirn. Trotz der winterlichen Kälte war mir heiß.
Erleichterung flackerte in mir auf. Der Anflug einer Panik war im Supermarkt gerade noch mal an mir vorbei gezogen. Zum Glück war ich nicht umgekippt. Keiner hatte etwas bemerkt. Was war nur mit mir los?, dachte ich entsetzt.
Ich schaute erschöpft auf die nasse Autoscheibe und zeichnete mit den Augen die Bahnen der herunter fließenden Regentropfen nach. Meine Gedanken liefen wie das Wasser auf dem Glas zusammen.
Ich musste an meine Geschäftsreisen denken, zum Beispiel an das menschenüberfüllte, erdrückende und reizüberflutete China, und wie wenig mir diese Reisen anscheinend immer ausmachten. Dagegen war doch alles andere, und in meinem Fall der kleine deutsche Supermarkt, ein schmusiger Luftkurort, ein lauwarmer Schonwaschgang.
Ich sah mich in meinem gedanklichen Rückblick auf der größten Exportmesse Chinas im südchinesischen Guangzhou am Perlriver. Siebzehntausend Aussteller reihten sich dort in unzähligen Messehallen aneinander. Vom kleinen Kugelschreiber bis zum großen Gabelstapler gab es hier alles. Die Chinesen protzten mit immer neuen, sich überschlagenden Superlativen.
Einige deutsche Messegesellschaften würden schon Luftsprünge machen, wenn sie so viele Besucher hätten, wie auf dieser chinesischen Messe Aussteller waren. Hier wurde es eher emotionslos als zwangsläufige Entwicklung einer aufstrebenden und wachstumsverrückten Nation angesehen.
Jedes Mal, wenn mein Kollege und ich auf der chinesischen Messe waren, tauchten wir in eine völlig überdrehte Welt ein. Mit dem ersten Schritt durch die mächtigen
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