iBurn-out - Zeit fuers Wesentliche
Eingangstüren wurden wir von der Atmosphäre elektrisiert. Die draußen herrschende subtropisch-feuchte Monsunluft wurde durch eisige Luft aus unzähligen Klimaanlagen ersetzt. Über die nasse Haut lief ein eiskalter Schauer und riss mich aus meiner schweißtriefenden Lethargie aus Klimawechsel, Jetlag und Reisemüdigkeit. Die herrschende Lautstärke aus Stimmen und Geräuschen baute sich wie eine Schallmauer vor mir auf und erzeugte zwischen den hohen Gebäudemauern einen ohrenbetäubenden Hall. Menschenmassen drängten sich dicht aneinander und verströmten dabei undefinierbare Gerüche. Nicht nur diese Düfte peitschten auf die Nasenschleimhaut, auch die unzähligen Essenstände innerhalb der Massehallen trugen ihren Teil bei.
Der Sog der Masse riss uns mit und bestimmte die Fließgeschwindigkeit. Wir bewegten uns, wie im Zentrum eines Strudels zwischen Messeständen, Produkten, Werbeschildern, Leuchtreklamen, Ausstellern und anderen Menschen hin und her. Der Umfang und die Größe der Messe machten dazu einen schnellen Schritt notwendig. Wir waren nicht zum Vergnügen hier und die Suche nach geeigneten Produkten, Produzenten und Lieferanten war umfangreich genug. Ich machte mir selbst den größten Druck. Die Impulse dieser Reise für ein erfolgreiches Geschäftsjahr waren mir permanent bewusst. Mein Perfektionismus und Ehrgeiz, aber auch meine eigenen hohen Erwartungen verschärften den Druck außerdem.
Die Geschäftsreisen nach China mit den Messebesuchen gehörten vor meinem Wechsel in den Vorstandbereich jahrelang zu den Aufgaben meines Jobs. Rational hatte ich sie verflucht; gleichzeitig mochte ich sie aber auch. Das Land voller Widersprüche entlockte mir in kürzester Zeit die volle Bandbreite an positiven wie negativen Emotionen. In den Extremen lag immer auch mein persönlicher Reiz: PUSHING THE LIMITS.
Im Auto sitzend erinnerte ich mich an die letzte Reise nach China: Ein Meer aus Blinklichtern hatte mich in der mehrstöckigen Halle für Weihnachtsartikel empfangen. Ein molliger Weihnachtsmann lümmelte im roten Bademantel auf einem Plüschtier. Das Rentier zuckte einen Moment unkontrolliert unter der Last seines schwergewichtigen Reiters wie beim epileptischen Anfall, verharrte sekundenlang in seinem heiligen Kitsch-Delirium, um dann mit der Endlosschleife aus komischen Bewegungen und Gesang fort zu fahren.
Daneben lag ein kleines Jesuskind mit lilafarbenem Lendenschurz im weichen Kinderbett. Zumindest war das Bett aus natürlichem Holz gefertigt, aus Bambus. Dass der Heiland in einer schäbigen, stinkenden Krippe gelegen haben sollte, mussten die Chinesen für einen Übersetzungsfehler gehalten haben. Die christliche Geschichte unterlag einer chinesischen Neuinterpretation. Dabei war der Inhalt der Weihnachtsgeschichte für sie so weit entfernt, wie der Flug von Asien nach Europa oder der rote Coca Cola-Weihnachtsmann vom bischöflichen Nikolaus.
Weitere unüberschaubare Mengen an Artikeln für die Weihnachtszeit reihten sich neben-, über- und hintereinander auf: glitzernde Sterne, grüne Plastiktannenbäume, weiße Schneeflöckchen, nackte Putten, endlose Girlanden, goldene Stoffengel. Glitter und Glimmer.
Hundert Glocken erklangen aus allen Richtungen, tausend Töne schrillten und Millionen Engel jubilierten. Die weihnachtliche Kakophonie glich der Lautstärke eines startenden Düsenjets.
Ab und zu schüttelte mich ein leicht hysterischer Lachanfall. Mein Versuch eines Druckausgleichs. Einige Dinge durfte man wirklich nicht so ernst nehmen.
Danach folgten in einer weiteren Messehalle Dinge für den nächsten abwegigen Feiertag und lösten damit den weihnachtlichen Wahnsinn ab. Es gab nichts, was es nicht gab.
Auf dieser Messe waren nicht nur die angepriesenen Produkte, ob dekorativer Weihnachtsmann oder tonnenschweres Fahrzeug, bunt gemischt. Auch die Besucher und Aussteller waren es. Ein Mann jüdischen Glaubens mit Kippa und herunter hängenden Korkenzieherlocken an den Schläfen trat um die Ecke, dicht gefolgt von einem Inder mit verschlungenem Turban und einem Araber mit kariertem Tuch auf dem Kopf. Dahinter ein Schwarzafrikaner in Ledersandalen und großgemusterten Stoffen. Komplettiert wurde diese multikulturelle Ansammlung von einem blonden Europäer im Maßanzug, der seinen Hals mit einer Krawatte strangulierte. An zwei Messegängen, die sich in China kreuzten, prallten sie aufeinander und ich stand mittendrin. Die Welt auf vier Quadratmetern.
Inmitten des Trubels musste ich
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