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Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens

Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens

Titel: Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Beth Durst
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Vorsprung vorbei, und vor Schreck blieb Cassie ihr nächster Ruf im Halse stecken. Die Brocken überschlugen sich und rissen weitere Steine mit. Eine Minilawine raste den Hang hinunter. Zitternd blickte Cassie hinüber zu der Stelle, wo der Fels abgesplittert war.
    Ein einzelnes Auge blickte sie an.
    Das Auge war riesengroß. Es sah aus wie ein geschwungener, in den Fels eingebetteter, gelber Spiegel. Cassie konnte sich selbst darin erkennen, über und über verkrustet mit Schmutz und Blut, den Bauch grotesk vorgewölbt – ein Zerrbild aus einem Spiegelkabinett. Wie gebannt starrte sie darauf. Ein Lid aus Granit schob sich über das Auge wie eine Lawine und zog sich dann wieder zurück nach oben. Alles war Teil des Berges. Steine waren Schuppen. Felsblöcke bildeten Nasenlöcher. Sie betrachtete den Felsüberhang, an den sie sich klammerte. Es war eine Klaue.
    Der Drache öffnete sein Maul. Es glich einer riesigen, dunklen Höhle. Er gähnte herzhaft, und ganze Nebengipfel stürzten in die Tiefe. Steinstaub stieg in großen Wolken auf, als er sprach. »Du hast nach einem Munaqsri gerufen.«
    »Ich, äh, eigentlich wollte ich den Wind-Munaqsri sprechen«, stammelte Cassie.
    Seinem beinahe zwei Meter großen Auge nach zu urteilen, war dieser Munaqsri hier so gigantisch, dass er den Grönlandwal mit Leichtigkeit hätte zerschmettern können.
    »Du verschwendest deine Zeit, wenn du nach meinen Cousins rufst. Die Winde werden dich nicht hören. Du bist zu erdgebunden, um ihr Interesse zu wecken.«
    Das sollte es dann gewesen sein? Nach der ganzen Schinderei? »Und was soll ich jetzt tun?«
    »Was immer du willst.« Der Drache zuckte mit den Achseln. Schnee und Felsbrocken rutschten ab. Die entstehende Lawine donnerte mit ohrenbetäubendem Getöse den Hang hinunter, und Cassie sah eine riesige Staubwolke unter sich aufsteigen. Weiter unten knickten Bäume um wie Zahnstocher.
    Sie schluckte. »Kannst du mir nicht helfen?«
    Das steinerne Augenlid klappte nach unten. Sie wartete eine Weile, doch es blieb zu. Das Auge war nicht mehr vom umgebenden Fels zu unterscheiden. »Ähm, Verzeihung?«, fragte Cassie höflich.
    Keine Antwort.
    »Herr Berg?«
    Stille. Cassie presste die Lippen zusammen. Sie war doch nicht so weit gekommen, um sich jetzt von einem Haufen Felsen mit Augen aufhalten zu lassen – auch wenn der Haufen sehr groß war und die Augen einem Drachen gehörten. Sie – nein, sie beide, sie und ihr Baby – würden sich nicht so leicht abwimmeln lassen. Sie war nicht allein in dieser Sache. Dieser Gedanke gab ihr Kraft und Mut. Cassie wappnete sich und klopfte dann entschlossen auf die Drachenklaue. »Antworte mir! Bitte! Wie kann ich den Wind auf mich aufmerksam machen?«
    Das Auge öffnete sich, und der Drache musterte Cassie von oben bis unten. »Es gibt eine Möglichkeit. Eine einzige.«
    »Welche?«
    Der Drache begann zu lachen. Felsbrocken lösten sich donnernd aus dem Berg. Cassie presste sich flach gegen die Felswand und hielt sich die Ohren zu. »Du wirst sie nicht mögen«, dröhnte er.
    »Los, nun sag schon, was es ist! Ich habe keine Angst!« Sie hämmerte mit ihrer winzigen Faust gegen die riesige steinerne Klaue. »Sag’s mir, verflucht noch mal!« Der Drache fixierte sie mit seinem gigantischen Auge und sprach nur ein einziges Wort:
    »Fallen.«

Kapitel Achtundzwanzig
    Geografische Breite: 63° 26 ' 00 " N
    Geografische Länge: 130° 19 ' 53 " W
    Höhe: 1318 m
    Cassie lugte vorsichtig über den rand des Felsvorsprungs. Fallen?
    Der Hang unter ihr war über und über mit messerscharfen Felsen bedeckt. Wie von selbst legten sich ihre Hände schützend über ihren Bauch. Sie war schon einmal einen solchen Hang hinabgestürzt. »Es ist keine senkrechte Wand«, protestierte Cassie. »Das wird kein freier Fall. Ich werde den Berg hinunterrollen. Es wird nicht funktionieren.«
    »Oh, dem kann abgeholfen werden«, erwiderte der Drache und verlagerte sein Gewicht. Unterhalb des Vorsprungs, auf dem sie stand, brach der halbe Berg weg und donnerte als gewaltige Lawine in die Tiefe. »Aaaaaah!« Schreiend klammerte sich Cassie an die Drachenklaue, bis das Getöse aufhörte. »Bitte, schrei doch nicht so«, meinte der Drache gereizt.
    Cassie schob sich vorsichtig bis an die Kante vor und spähte nach unten. Ihr Haar flatterte im Wind und peitschte gegen ihre Wange. Der Berghang war verschwunden. Die Wand fiel jetzt mehr als vierhundert Meter senkrecht ab. Cassie wich zurück und presste sich mit dem Rücken

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