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Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens

Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens

Titel: Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Beth Durst
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ihr sprangen Schneeschafe auf der Suche nach Heidekraut und Steinbrech leichtfüßig von Stein zu Stein.
    »Angeber«, keuchte sie und schwenkte die Arme in Richtung der Tiere. »Macht mal Platz!« Wie zur Bekräftigung boxte das Baby von innen gegen ihren Leib. Cassie grinste und tätschelte ihren Bauch. Es war seltsam – irgendwie hatte sie jetzt das Gefühl, einen Kameraden zu haben. Sie musste das hier nicht mehr allein durchstehen. Das Kind würde ihr helfen, seinen Vater zu retten. »Aus dem Weg, Schafe! Baby an Bord!«
    Die Tiere stoben auseinander.
    Der Hang wurde jetzt so steil, dass Cassie auf allen vieren weiterklettern musste. Sie kam sich vor wie eine Riesenschildkröte. Ein ums andere Mal setzte sie die Füße mit Bedacht auf und stützte sich dann mit den Händen ab. Ihr gewölbter Bauch streifte die Steine.
    Das Baby wand und krümmte sich, während Cassie auf ihren Leib einredete: »Wenn du dieses eine Mal brav bist, musst du nie, nie wieder auf einen Berg klettern. Ich verspreche es dir. Bleib einfach noch eine Weile da drin. Okay, Kleines?«
    Ächzend und schnaufend kletterte sie auf einen Felsvorsprung. Oben angelangt, ruhte sie eine Weile aus und kühlte ihr Gesicht mit verharschtem Schnee. Da hier in dieser Höhe kein Wald mehr war, konnte sie weit über die Täler blicken. Tief unter ihr hoben sich Lärchen in leuchtend goldenem Herbstgewand vor dem dunklen Hintergrund der Fichten ab wie brennende Fackeln. Sie fragte sich, wie hoch sie wohl klettern müsste, bevor der Nordwind sie hören konnte und streckte eine Hand aus, um den Wind zu testen. »Wind-Munaqsri? Großvater! Hallo?«
    Keine Antwort. Sie musste höher hinauf.
    Meter um Meter kämpfte sich Cassie weiter den Hang empor und sagte sich bei jedem einzelnen Schritt: Du bist vielleicht nicht imstande, ganz nach oben zu kommen, aber einen Schritt kannst du noch machen. Die Sonne verschwand hinter dem Berg, und sie kletterte fröstelnd im Schatten weiter. Hin und wieder machte sie halt und rief nach dem Nordwind, doch jedes Mal umsonst.
    Eine Stunde später wurde der Hang extrem steil. Cassie krallte sich mit den Fingern in einer Felsspalte fest, suchte mit dem Fuß nach einem festen Tritt und zog sich hoch. Beide Füße fest in den Fels gestemmt, streckte sie eine Hand nach dem Vorsprung aus. Von ihren aufgeschrammten Fingern tropfte Blut und sprenkelte den Stein mit dunkelroten Flecken. Cassie schwang ein Bein hoch und zog sich über den Rand auf den Sims. Keuchend sank sie gegen die Felswand. Die Bäume weiter unten wirkten jetzt wie Streichhölzer, und die wilden Schafe waren kleine Punkte auf weit entfernten Felsen.
    Hoch genug, entschied sie.
    Den Rücken fest gegen den Fels gepresst, vor sich den Abgrund, stand Cassie auf. Wind peitschte ihr das Haar ins Gesicht. Sie strich es hinter die Ohren zurück und ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen. Die Höhe machte sie schwindlig. Sie konnte den Wald sehen. Er erstreckte sich über Hunderte von Meilen, bis zum Horizont. Unter ihr flog eine Schar Kanadagänse vorbei. Cassie presste eine Hand fest auf ihren Bauch und atmete tief ein. Sie wettete, ihr Kind würde mit einer Liebe zu Bergen geboren werden. Oder mit einer tiefsitzenden Angst vor ihnen.
    Sie schloss die Augen, um den Schwindel zu vertreiben. Es war an der Zeit herauszufinden, ob sich ihre Anstrengungen gelohnt hatten. Cassie atmete noch einmal ganz tief ein, dann schrie sie aus Leibeskräften: »Nordwind! Großvater!«
    Wind blies über ihr Gesicht, doch er sprach nicht.
    Noch einmal schrie sie: »Ich bin Gails Tochter! Ich muss mit dir reden!«
    Er befand sich irgendwo da draußen, ganz sicher. Aber wo? War er der ganze Wind oder nur ein Teil davon? Sie wünschte, sie hätte Gail nach ihrer Familie gefragt. Sie wusste nichts über die Wind-Munaqsri, außer, dass sie zu ihrer Familie gehörten und die Oberaufsicht über alle Luft-Munaqsri hatten. Sie hoffte, das würde reichen. Es musste. »Ich bin deine Enkeltochter! Bitte, antworte mir! Großvater!« Cassie schrie sich die Kehle aus dem Hals, bis sie schmerzte. »Onkel! Winde! Antwortet mir! Bitte!« Sie spürte ihn doch, den Wind – ihr Haar und ihr Rock flatterten, Schnee und Kiesel rollten den Berg hinunter –, also warum gab er ihr keine Antwort? »Großvater! Onkel! Munaqsri! Ich weiß, es gibt euch! Redet mit mir!«
    Ein Felsbrocken löste sich krachend aus der Wand und stürzte in die Tiefe. Bruchstücke sausten, nur Zentimeter entfernt, an ihrem

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