Ice Ship - Tödliche Fracht
wieder blieb er stehen, um die Schneewand aus der Nähe zu betrachten. Schließlich schien er die richtige Stelle gefunden zu haben. »Hier«, sagte er zufrieden, schlug mit der Stiefelspitze eine Stufe in die senkrechte Schneemauer, fing ein Stück weit zu klettern an und trat die nächste Stufe in den Schnee. McFarlane folgte ihm, hangelte sich vorsichtig von einem Tritt zum nächsten und versuchte dabei, das Gesicht möglichst nicht dem immer schneidenderen Wind auszusetzen. »Puppup soll langsamer machen!«, japste Lloyd hinter ihm. Aber Puppup schritt nur umso schneller aus und fing dabei plötzlich in hohem, singendem Tonfall zu erzählen an. »Hanuxa war der Sohn von Yekaijiz, dem Gott des Nachthimmels. Yekaijiz hatte zwei Söhne, Hanuxa und dessen Zwillingsbruder Haraxa, den der Vater besonders ins Herz geschlossen hatte. Da konnte es nicht ausbleiben, dass Hanuxa immer eifersüchtiger auf seinen Bruder wurde. Er sann auf einen Weg, wie er dessen Kraft und Einfluss erlangen könnte.« »Aha«, warf Lloyd schnaufend ein, »die alte Geschichte von Kain und Abel.« Im Zentrum des Feldes glitzerte blankes, blaues Eis, der Schnee war wohl vom Wind weggefegt worden. Es ist schon seltsam, hier, mitten im Nichts, auf der Suche nach einem riesigen, mysteriösen Felsen und dem Grab seines früheren Partners und Freundes durch eine Winterlandschaft wie aus Kinderträumen zu wandern und dabei einem alten Mann zuzuhören, der Legenden über die Isla Desolación erzählt, ging es McFarlane durch den Kopf. »Die Yaghan glauben nämlich, dass das Blut die Quelle des Lebens und der Kraft ist«, fuhr Puppup fort. »Und so tötete Hanuxa eines Tages seinen Bruder. Er schlitzte Haraxa die Kehle auf und trank sein Blut – ja, so war es. Und da nahm seine Haut die Farbe des Blutes an, und Haraxas Kraft ging auf ihn über. Aber Yekaijiz, der Vater, kam ihm dahinter und beschloss, Hanuxa ins Innere der Insel zu verbannen. Er schloss ihn in einem unterirdischen Kerker ein. Und wenn sich in stürmischen Nächten, in denen die Brandung gischtend tobt, jemand zu nahe an die Insel heranwagt, kann er grelle Lichtblitze zucken sehen und hören, wie Hanuxa mit wütendem Heulen versucht, aus seinem Kerker zu entkommen.« »Wird er je entkommen?«, fragte Lloyd. »Weiß ich nicht, Chef. Aber wenn, wär’s ein Unheil.« Das Schneefeld fiel nun leicht ab und endete schließlich an einer Wechte. Sie mussten sich – einer nach dem anderen – fast zwei Meter abwärts hangeln und die restliche Strecke rutschend und schlitternd zurücklegen, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Der Wind schwächte allmählich ab, der Schnee fiel jetzt in dicken, weichen Flocken, die aber nicht liegen blieben. In etwa hundert Meter Entfernung machte McFarlane einen großen Findling aus. Plötzlich fing Puppup zu rennen an, genau auf den Findling zu, Lloyd folgte ihm. McFarlane zögerte, und als er endlich losging, bewegte er sich, als habe er auf einmal schwere Gewichte an den Beinen. Hinter dem Findling sah er eine verkrumpelte Decke auf dem Boden liegen, nicht weit davon verstreute Tierknochen, darunter auch zwei Schädel, um einen war noch das von Wind und Wetter zerschlissene Seil geschlungen. Ein paar Blechdosen lagen herum, eine große Segeltuchplane, ein durchnässter Schlafsack und zwei zerborstene Packgeschirre. Und auch unter der Segeltuchplane beulte sich irgendetwas. McFarlane lief ein kaltes Schaudern über den Rücken. »Mein Gott«, sagte Lloyd leise und deutete mit dem Kopf auf die Tierknochen, »das müssen die Maulesel Ihres ehemaligen Partners gewesen sein. Sie waren an dem Felsen festgebunden und sind verhungert.« Er wollte nach dem Segeltuch greifen, aber McFarlane fiel ihm in den Arm und hielt ihn zurück. Er bückte sich und hob es selber an, schüttelte den Schnee ab und riss es mit einem Ruck beiseite. Aber es waren nicht Masangkays sterbliche Überreste, die zum Vorschein kamen, sondern nur ein paar Werkzeuge, Kleidungsstücke und etwas Proviant, wahrscheinlich der Inhalt der beiden zerborstenen Packgeschirre. McFarlanes Blick blieban einigen Blechdosen mit Ölsardinen hängen. Sie waren aufgeplatzt, überall lagen gefrorene Fische herum. Und dabei hat Nestor die verdammten Dinger so gemocht, ging ihm durch den Kopf. Und plötzlich holte ihn die Erinnerung an eine Episode ein, die sich vor fünf Jahren etliche tausend Meilen nördlich von hier abgespielt hatte ... Nestor und er kauerten mit ihren bis zum Rand mit
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