Ice
der Ruhe bringen kann, habe ich seine Unruhe erkannt. Seine Augen wollten jeden Winkel der Stadt zur selben Zeit erfassen, und er hat sich ständig die Hände an der Hose abgewischt.
Er weiß etwas, genau wie Vater!
Meine innere Unruhe nimmt mit jeder Sekunde zu. Trotzdem schaffe ich es, den Text herunterzuleiern. Ich lese ihn einfach ab, ohne ihn richtig wahrzunehmen. Meine Gedanken gelten nur Ice und meiner Abreise. Vielleicht ist es gut, dass ich gehe. Ich habe Angst. Ich spüre es in meinen Haarwurzeln: Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht. Was hatte der Warrior Storm gestern bloß für Neuigkeiten?
Heute Morgen stand Ice überraschend in meinem Schlafzimmer und hat mir befohlen, unter meiner Bluse mein Aramidfaserhemd zu tragen. Der Stoff ist so fest und dicht gewebt, dass er Messerattacken abmildern und Kugeln auffangen kann. Erwartet Vater einen Anschlag? Oh Gott, ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren. Wo bin ich, habe ich den Text korrekt vorgelesen?
Als plötzlich ein Raunen durch die Menge geht, schaue ich die Menschen vor mir zum ersten Mal richtig an. Sie legen die Köpfe in den Nacken und sehen nach oben. Ich tu es ihnen gleich. Die Kuppel hat sich an der Turmspitze geöffnet, und ich erkenne die Unterseite eines Transportfrachters. W-02 steht in großen Lettern auf dem Boden des Shuttles.
Wieso landet es jetzt? Normalerweise herrscht Flugverbot bei öffentlichen Veranstaltungen, außerdem liefern die Frachter meist nachts die Waren. Ich habe eine Sondergenehmigung bekommen, da im Moment die meisten Flüge ohnehin gestrichen sind.
Verwundert drehe ich mich um, doch auch Vater und Ice starren nach oben. Ice hat seine Pistole gezogen und lässt den Transporter nicht aus den Augen.
Das Shuttle landet jedoch nicht, sondern bleibt außerhalb der Kuppel in der Luft stehen. Wieso ist die Schleuse so lange geöffnet? Die Strahlung!
»Warum wusste ich nichts davon?«, fragt Ice meinen Vater und klingt dabei wütend.
Der schüttelt den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung! Aber laut Registrierungsnummer ist das der gestohlene Transporter. Das sind die Rebellen!«
Bürger, die in der vordersten Reihe stehen und seine Worte gehört haben, schreien auf; Ice schiebt mich hinter sich.
Da reißt Vater das Funkgerät eines Wachmannes an sich, um den Männern auf der Landeplattform zu befehlen, das Feuer auf das Shuttle zu eröffnen.
Alles dreht sich in meinem Kopf. Was passiert hier? Wusste Ice etwas?
Hektisch schaue ich mich um. Wo sind die Warrior, die sonst bei diesen Veranstaltungen in der Nähe sind, um den Platz zu sichern? Normalerweise müssten sie längst den Turm stürmen!
Tatsächlich tauchen ein paar Krieger auf und verschwinden im Aufzug. Doch wo sind die anderen?
Die Menschen werden immer unruhiger. Oh Gott, wenn nun eine Massenpanik ausbricht? Wir werden alle zertrampelt!
Ice sieht mich mit aufgerissenen Augen an, er ist bleich, wirkt sehr alarmiert. »Du musst hier weg!« Er packt meinen Arm und zieht mich von der Bühne – da höre ich über die Lautsprecher eine Stimme, die mir bekannt vorkommt. Eine Männerstimme, die ich lange nicht gehört habe. Erst, als ich einen Blick über die Schulter werfe, kann ich sie zuordnen. Auf dem Screener ist das Bild eines jungen Mannes mit blondem Haar zu sehen. Oh mein Gott!
»Bürger von White City, hier spricht Andrew. Ihr kennt mich als den Sohn von S enator Pearson.«
Die Menge verstummt und starrt auf den Bildschirm. Auch ich bleibe stehen und wispere: »Andrew.« Er sieht fantastisch aus, aber irgendwie verändert: Sein Haar ist kürzer, es steht wie Stacheln von seinem Kopf ab, die Haut wirkt viel dunkler. Nur die intensiven grünen Augen sind dieselben.
»Mir geht es gut und ich wurde auch nicht von den Rebellen entführt, wie euch der Senat Glauben machen wollte. In Wahrheit ist ein Leben da draußen längst wieder möglich. Hier gibt es auch keine Mutanten. Ich lebe mitten unter diesen Leuten.« Bilder einer Stadt und Menschen werden gezeigt, Ball spielende Kinder auf einer Straße, lachende Frauen, seltsame Automobile und riesige Tiere mit einem braunen, zottigen Fell. Sind das Büffel?
Während Ice mich weiterzieht, solange die Menschen stillstehen, schreit mein Vater auf der Bühne: »Stellt das ab! Woher kommt das?«
Schüsse sind zu hören, und mein Blick wandert nach oben zur Landeplattform. Das Shuttle bewegt sich nicht von der Stelle, es greift auch niemand daraus an, alle Türen sind geschlossen. Nur unsere Wachen feuern auf
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