Ice
Baby.«
Nachdem er mit seinen Fingern durch mein Haar gefahren ist, setzt er mich ab und öffnet die Tür.
Schnell stecke ich den Stöpsel in mein Ohr, während mir feuchtwarme Luft entgegenschlägt. Das Atmen fällt mir nicht mehr so leicht, tausend neue Gerüche strömen mir entgegen, schwer und süßlich.
Eine grüne Wand aus Sträuchern und Bäumen baut sich vor uns auf; es gibt nur einen schmalen Trampelpfad, der umgeben vom Dickicht wie ein Tunnel durch den Dschungel führt. Tausende Vögel scheinen sich darin zu verbergen, denn ich höre ein fast ohrenbetäubendes Schnattern und Zwitschern.
»Was ist das für ein Weg?«, möchte ich wissen. »Sieht nicht aus, als würde er oft benutzt werden.«
Ice steigt die Stufen hinunter. »Der Pfad wird bloß einmal im Jahr betreten, deshalb habe ich auch diesen Ausgang gewählt.«
Ich folge ihm bis vor das Shuttle und er zieht mich an der Hand zum Rand der Klippen. Hunderte Meter geht es abwärts, Wellen donnern an den Felsen. Ich höre die Brandung und atme salzige Luft ein.
Ice deutet auf einen sehr schmalen Weg, der sich an den Klippen hinabschlängelt. »Dort müssen die Jungs entlanggehen, bis zu einer Höhle, vor der sich die Pfähle befinden.«
»Das Aufnahmeritual«, wispere ich.
Er nickt. »Und jetzt schließe dich im Shuttle ein. Ich hoffe, dass ich in zwanzig Minuten zurück bin. Falls etwas schief läuft, musst du allein zurückfliegen.«
Ich schlucke. »Es wird nichts schiefgehen. Außerdem hab ich doch keine Ahnung, wie man ein Shuttle bedient!«
»Die Route zurück nach White City ist immer noch einprogrammiert, du musst nur wieder auf Autopilot umstellen.« Er erklärt mir, wie ich das machen soll, aber ich höre ihm nicht zu. Zu laut rauscht das Blut durch meinen Kopf.
»Du wirst zurückkommen. Mit meiner Mutter und meiner Schwester.« Hoffentlich sind sie am Treffpunkt. Hoffentlich hat alles geklappt. Zu viel Zeit ist bereits vergangen, man könnte sie längst geschnappt haben. »Du musst los …«
Ice überprüft, ob unsere Verbindung funktioniert, und ich höre seine Stimme in meinem Ohr. »Ich bin immer bei dir, Baby, hab keine Angst«, raunt er mir zu, gibt mir noch einen letzten Kuss und verschwindet mit gezogener Waffe im Urwald.
Abrupt verstummt das Vogelgezwitscher und eine unheimliche Stille breitet sich aus. Diese Ruhe zerrt an meinen Nerven.
Ich soll mich einschließen, hat er gesagt, doch ich hasse dieses Gefühl der Enge. Ich brauche Luft, muss direkt sehen können, wenn er zurückkehrt, daher bleibe ich draußen an den Stufen stehen.
»Alles okay bei dir?«, frage ich ins Mikro.
»Alles okay«, erwidert er leise. »Bin gleich bei der Tür.«
Ich stelle mir vor, wie er die Mauer erreicht, das Fundament der Kuppel, in der eine Stahltür eingelassen ist. Sie ist umwuchert von Ranken und Gestrüpp, denn die Natur hat sich nach all den Jahrzehnten ihren Platz zurückerobert.
Ich vernehme Ice’ Atem, sonst nichts. Er bewegt sich lautlos durch den Dschungel, dennoch haben die Vögel ihn bemerkt. Nach und nach setzt das Zwitschern wieder ein, bis es erneut zu einem ohrenbetäubenden Geräuschpegel anschwillt. Irgendwie unheimlich. So viel Natur um mich herum …
Ich begebe mich noch einmal zum Rand der Klippen und versuche, die Höhle zu erspähen, aber sie muss unter einem Vorsprung verborgen sein. Und will ich wirklich sehen, wo sie ihn als Jungen angebunden haben?
Obwohl es warm ist, erschaudere ich und reibe mir über die Arme. Die Sonne brennt heiß auf mein Gesicht, und ich gehe zurück ins Schiff. Die Tür lasse ich jedoch offen.
Wie wird es mit uns weitergehen, wenn wir all das überstanden haben? Falls wir es überstehen.
Wir hatten nie Gelegenheit, über unseren Beziehungsstatus zu sprechen. Für mich ist klar, dass ich ihn für immer will. Ich könnte mir keinen perfekteren Partner wünschen. Er geht auf meine Bedürfnisse ein, ist ein fantastischer Liebhaber und kann mich beschützen. Außerdem tut er alles für mich.
Du bekommst mich so schnell nicht los , hat er gesagt, als er mich eben verlassen hat, und mein Herz beginnt zu glühen.
Himmel, ich liebe ihn so sehr und ich danke Gott, dass er ihn mir zurückgebracht hat. Bring ihn auch diesmal wieder zurück.
Unruhig tigere ich an der Tür auf und ab, wobei ich seinem Atem lausche. Dann höre ich leise Töne. Er tippt die Zahlenkombination ein.
»Bin drin, war noch der alte Sicherheitscode«, flüstert er. »Sehe keine Wachen, aber es könnte ein stiller
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