Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
Fluss: »Sind Sie noch zu retten, Sie Einfaltspinsel! Sie können doch keine Radiointerviews geben, als wären Sie unser Unternehmenssprecher!«
»Aber ich habe doch nur auf dem Weg zur Kantine â¦Â«
»Sie haben Ihrem Arbeitgeber eine Mitschuld an dem Unglück unterstellt! Das ist eine Katastrophe für unser Image. Das kann auch versicherungsrechtliche Folgen haben!«
Der Direktor schnappte vor lauter Aufregung nach Luft wie ein verendender Fisch im Fluss und fügte hinzu: »Sie können Ihre Papiere in der Personalabteilung abholen!«
Für seinen banalen Satz sollte Jörg entlassen werden â nach acht Jahren in der Fabrik. Nur dem Widerspruch des Betriebsrates ist es zu verdanken, dass er mit einer Abmahnung davonkam. Seither wird er mit Sonderschichten und Schmutzarbeiten schikaniert. Die Firma will ihn loswerden.
Der eigentliche Skandal war für den Direktor nicht die wiederholte Umweltvergiftung, sondern der Satz meines Kollegen. Er hatte ausgesprochen, was in unserem Unternehmen höchst unerwünscht ist: die Wahrheit.
Michael Beckmann, Fabrikarbeiter
Nachwort:
Die Rettung des Arbeitslandes
Viele Bücher klingen mit einem Happy End aus: Feinde versöhnen sich, verlorene Söhne kehren heim, und das Abendland wird doch noch gerettet. Die Rettung des Arbeits landes aus den Klauen des Irrsinns, etwa durch ein Anti-Idiotikum, das die Firmen zweimal am Tag einnehmen müssen: Gerne würde ich Ihnen diesen Triumph verkünden.
Allein: Die Firmen siechen noch. Und doch gibt es Anzeichen, dass eine Instanz, die noch höher als das Top-Management angesiedelt ist (doch, so was gibt es!), die Märkte bereinigt: eine Evolution der Vernunft. Denn Firmen, in denen der Irrsinn regiert, schaden nicht nur ihren Mitarbeitern â sie schaden vor allem sich selbst.
Ein Journalist hat mich nach dem ersten Irrenhaus-Buch spitzfindig gefragt: »Wenn deutsche Firmen tatsächlich so verrückt sind â wie können sie dann so erfolgreich sein?« Genauso gut könnte man fragen: Warum fällt ein Flugzeug, dessen Triebwerke aussetzen, nicht sofort vom Himmel? Nehmen Sie Schlecker: Die Schubkräfte der Vergangenheit und die faulen Tricks des Inha bers, der die Gehälter seiner Mitarbeiter unsittlich drückte, trugen den Konzern noch ein paar Jahre, als er längst (an den Irrsinn) verloren war. 90
Aber schlieÃlich lieà das Wahnsinns-Management die Firma doch zerschellen. Am Markt lag das nicht: Zur selben Zeit, da Schlecker abstürzte, erlebte die Drogeriekette dm einen Höhenflug und erzielte pro Filiale den sechsfachen Umsatz von Schlecker. 91 Ausgerechnet dm â eine menschenfreundliche Firma, bei der die Mitarbeiter ihre Vorgesetzten und ihre Gehälter selbst bestimmen dürfen. 92 Die vernünftige Drogerie wächst, die irrsinnige zerschellt: Dieser Vorgang hat symbolischen Charakter.
Aber was hilft das den Schlecker-Frauen, die jetzt auf der StraÃe stehen? Eine Hoffnung bleibt: dass der leere Raum am Markt, den die Irrenhäuser hinterlassen, von vernünftigen Firmen eingenommen wird. Und dass diese Firmen, eben weil sie vernünftig sind, mit dem wachsenden Umsatz auch ihr Personal aufstocken. Eine Schlecker-Mitarbeiterin, die auf diesem Umweg bei dm in einer Kultur der Menschlichkeit ankommt, wird beim Rückblick auf ihr Arbeitsleben vielleicht sagen: Gut so!
Klüger jedoch, als auf den Absturz eines Irrenhauses zu warten, ist es, rechtzeitig mit dem Fallschirm abzuspringen. Eine Anleitung dazu habe ich Ihnen im ersten Band von »Ich arbeite in einem Irrenhaus« geliefert: wie Sie Ihre Firma als Irrenhaus enttarnen (mit einem groÃen Irrenhaus-Test), wie Sie Ihren Absprung unauffällig vorbereiten (mit einem Fluchtplan) und wie Sie als Bewerber Irrenhäuser meiden (mit einem Frühwarnsystem) und eine vernünftige Firma finden.
Etliche Leser haben diesen Sprung gewagt, und aus ihren Zu schriften weià ich: Als Befreiung, als tiefes Glücksgefühl haben sie es empfunden, den Irrsinn hinter sich zu lassen und in einer Firmenkultur anzukommen, die sich mit ihren eigenen Werten deckt. Die Irrenhäuser aus freien Stücken zu verlassen, ihre Personaldecke zu durchlöchern und die Evolution auf diese Weise zu unterstützen: Das ist der Königsweg.
Und doch gibt es Menschen, deren Schicksal aus diversen Gründen mit ihren Firmen verwoben ist. Sie fragen sich: Wie kann
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