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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Hancock
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mich der Schlaf. Ich will gegen ihn ankämpfen, aber mein Körper gehorcht nicht. Am Ende bleibt mir nichts anderes übrig, als nachzugeben.
    Als ich endlich aufwache, höre ich Wasser. Es strömt draußen vom Dach und durch die Rohre, gurgelt auf dem Fußweg in den Rinnen. Ich ziehe meinen Kimono über und gehe zum Fenster. Der Fluss ist von Regenschleiern verhangen. Es herrscht Ebbe. Ich starre auf das braune Wasser. Auf einem Lastkahn haben sich Seemöwen aufgereiht. Sie kommen her, wenn es auf dem Meer vor Sheppey und Canvey Island stürmt. Sie glauben, der Fluss wäre sicher.
    Ich erschrecke, als ich im Wasser vor den vertäuten Lastkähnen einen Flecken Orange sehe. Es ist Helens Rock. Sie ist an die Oberfläche gestiegen, ist zurückgekommen, um mich anzuklagen: Wie konntest du mir das antun? Ich war deine Freundin. Ich schließe die Augen. Atme tief durch. Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich, dass das orangefarbene Ding ein Ölfass aus Plastik ist, wie Seb und ich sie in unserem Floß verbaut haben. Mir wird gleichzeitig heiß und kalt. Ich habe mich bei Jez angesteckt. Bestimmt habe ich Fieber. Deshalb ist die Erinnerung, die jetzt aufkommt, so strahlend und klar. So nah.
    An dem Abend, an dem ich Seb abholte, ruderte ich im Dämmerlicht durch den Regen, das Herz voller Vorfreude und Sehnsucht. Ich hatte Seb gehorcht und Tamasa genommen, das Floß, das wir zusammen gebaut hatten. Diese zusammengewürfelte Ansammlung von Gummireifen, Ölfässern aus Plastik, Treibholz und Seilen. Plastiktüten voller Styropor, das ich am Ufer zusammengesucht hatte. Unsere Schwimmkörper. Als Vorbereitung für den Tag, an dem ich ihn holen würde, hatte ich Tamasa ganz allein schwimmfertig gemacht. Jetzt hatte ich seinen Brief und wusste, dass es so weit war. Ich zog das Floß unter dem Kohlenanleger hervor. Seinen zweiten offiziellen Stapellauf würden wir nachholen, wenn Seb erst wieder auf dieser Flussseite war. Wir würden es mit einer Flasche Wein oder Cider taufen. Für Bier waren wir mittlerweile zu kultiviert.
    Ich fuhr los, sobald er mit seiner Taschenlampe von der Isle of Dogs aus das Signal gab. Wir würden wieder zusammen sein, nachdem man uns monatelang getrennt hatte. Vollgepumpt mit Adrenalin stieß ich mich vom Ufer ab. Ich ruderte aus dem Schatten des Anlegers in den bräunlichen Strom. Als ich erst einmal auf dem Wasser war, spürte ich eine Energie wie nie zuvor. Ich konnte sogar den Fluss besiegen! Wir hatten Flut, ich konnte problemlos steuern, und es herrschte kein Wind, nur eine Ruhe, von der ich jetzt weiß, dass sie dem Sturm voranging. Mit dem Paddel brachte ich das Floß ans andere Ufer. Es glitt viel leichter durch das Wasser als bei unseren gemeinsamen Fahrten, und ich war stolz auf mich, ich platzte beinahe vor Stolz. Deswegen merkte ich auch nicht, wie das Wetter umschlug und das Wasser weiter anstieg, über die grüne Flutmarke an den Uferwänden hinaus, bis es schließlich auf den Fußweg schwappte.
    Ich war wie berauscht von der Sehnsucht nach Seb. Ich konnte es nicht erwarten, auf dem Rückweg zwischen den Fischkisten und Schwimmhilfen seinen großen, gereiften Körper nah bei mir zu spüren. Wir würden uns aneinandergedrängt von den Wellen wiegen lassen. Die Kälte auf unseren Gesichtern und in unserer nassen Kleidung würden wir kaum spüren.
    Es wurde dunkel. Über mir zogen Wolken auf, die sich hinter Häusern versteckt hatten, die letzten Strahlen der tief stehenden Sonne färbten den Himmel in einem unheilvollen, matten Ton und tauchten alles andere in Schatten. Rechts von mir stand der Anlegesteg, dessen Pfähle und die Lücken zwischen ihnen in der ansteigenden Flut beinahe verschwunden waren. Ich wusste, dass Seb wartete. Er beobachtete mich und wartete darauf, an Bord zu springen, während ich gekonnt mit dem Floß anlegte. Ich wünschte mir sehnlich, dass er mich lobte und stillschweigend bewunderte, wenn ich ihn nach Hause holte.
    Später fragten sie, warum Seb nicht den gleichen Weg wie jeder andere genommen hatte. Mit dem Bus über die Tower Bridge oder zu Fuß durch den Tunnel von der Isle of Dogs. Wenn er schon den Fluss überqueren musste, warum hatte er sich kein Boot geliehen? Warum sollte ich ihn auf einem Floß abholen? Damals gab es noch nicht so viele Möglichkeiten, die Themse in dieser Flussschleife zu überqueren. Weder die Docklands Light Railway noch die U-Bahn nach North Greenwich. Seb hatte keine andere Wahl. Das sagte ich, obwohl ich wusste, dass er

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