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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Hancock
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einfachsten hätte ich etwas am Ufer gefunden, aber das bringt mich nicht weiter, nachdem das Wasser höher gekrochen ist und alles bedeckt. Ich grabe im Hof ein paar zerbrochene Ziegel aus, mit denen meine Mutter das Blumenbeet gebaut hat, und trage sie ins Wohnzimmer. Ich starre Helen im Rollstuhl an. Da ist nirgendwo Platz für die Steine! Dann fällt mir die Jacke ein, mit der sie gekommen ist. Ich finde sie in der Küche. Es ist die hübsche blaugrüne Wolljacke mit Kapuze, die sie neulich im Café getragen hat. Ich nehme die Decke herunter, streife Helen die Ärmel über und stecke mehrere Ziegelstücke in die tiefen Jackentaschen. Trotzdem bin ich nicht sicher, dass sie schwer genug ist, um zu sinken. Vorsichtshalber lege ich noch zwei halbe Ziegel in eine alte Einkaufstüte von Sainsbury’s und binde sie an das kleine Kettchen, das Boden bei seinen Oberteilen in den Kragen näht, falls man seine Jacke ohne Kleiderbügel an einen Haken hängen muss. Die Ziegelsteine kommen in die Kapuze. Das erinnert mich daran, wie Seb Fischernetze mit Bierdosen gefüllt und sie mit Seilen zugebunden hat, um sie hinter sich herzuziehen, wenn er zu den Lastkähnen schwamm.
    Ich fühle mich leicht, als hätte ich meinen Körper verlassen. Ich muss ruhig bleiben, ich darf keine Panik bekommen. Dann macht man Fehler. Ich muss logisch denken.
    Am Ende sitze ich am Küchentisch und lausche auf das Ticken der Uhr. Meine Finger finden Jez’ Ohrring, das kleine Horn, das die ganze Zeit in meiner Tasche gesteckt hat. Der Ohrring! Jetzt passt alles zusammen. Es war vorherbestimmt, wie ich es schon wusste, als Jez zu mir kam.
    Ich krame unter Helens Mantel herum, finde eine Tasche in ihrem Rock und schiebe den Ohrring tief hinein. Ich nehme ihr Handy. Schreibe eine SMS . Suche Micks Nummer heraus und drücke auf Senden. Dann stehe ich auf und sehe draußen wieder nach der Flut. Ihr Handy folgt Jez’ ins Wasser. Der Fluss ist jetzt auf meiner Seite.

K APITEL V IERUNDDREISSIG
    Dienstag
    Sonia
    Ich löse die Rollstuhlbremse. Helens Kopf sackt nach vorne. Ich lege die karierte Decke über sie, schiebe den Rollstuhl über die Schwelle auf den Hof und zu der Tür in der Mauer. Drücke das Ohr dagegen. Endlich ist es still. Ich öffne die Tür. In den Wohnungen entlang des Fußwegs brennt kein Licht. Wir gehen direkt hinüber zu der Ufermauer, an die gleiche Stelle, an der ich die Handys ins Wasser geworfen habe.
    Pass auf, sonst wird das noch zur Gewohnheit! , spottet eine schrille Stimme in meinem Kopf.
    Jetzt herrscht richtig Flut, etwa einen Meter tiefer plätschert das Wasser gegen die Mauer. Über mir verweben sich die Äste der Bäume zu einem schwarzen Netz, und die Wand des Wohnhauses zu meiner Linken ist dicht mit Efeu überzogen. Zumindest von einer Seite bin ich abgeschirmt. Die andere Seite ist offen, aber verlassen, so weit ich den Weg einsehen kann, bis zum Kraftwerk und dem Kohlenanleger.
    Es ist schwieriger, Helen aus dem Rollstuhl zu heben, als ich gedacht hätte. Sind meine Arme schwächer geworden, seit ich sie in den Stuhl gesetzt habe? Oder ist ihr Körper ohne die Seele schwerer geworden? Die Ziegelsteine! Ich muss sie ihr abnehmen. Meine Finger sind taub, sei es vor Kälte oder aus Nervosität. Sie gehorchen mir nicht. Ich kann die Plastiktüte nicht aufknoten. Um die Durchblutung anzuregen, reibe ich die Hände aneinander. Oben auf der Hauptstraße heult eine Polizeisirene auf. Ich spitze die Ohren, während ich mich an dem Knoten der Tüte zu schaffen mache. Höre ich da eine Stimme? Schritte? Einen Moment lang bewege ich mich nicht und halte den Atem an, damit ich besser hören kann.
    Ich lasse die Ziegel Ziegel sein, hebe Helen mit ganzer Kraft hoch und wuchte sie auf die Mauer. Ich hebe ihre Beine hinüber, als würde ich ein Kind auf eine Schaukel setzen, und gebe ihr einen kräftigen Schubs. Sie fällt nach vorn, mit dem Gesicht auf das Wasser. Die karierte Decke halte ich noch in den Händen. Helens Arme sind ausgebreitet, als würde sie den Stern machen, den Kit im Schwimmunterricht der Grundschule gelernt hat. Ein paar Sekunden bleibt sie so. Sekunden, die sich zu Minuten dehnen.
    »Geh unter!« , murmele ich. »Geh unter!«
    Ihr Kopf taucht ein, der Hintern geht in die Höhe, als wollte sie unter die Wasseroberfläche sehen. Dann erfüllen die Ziegel ihre Aufgabe, und von irgendwo steigen Blasen auf, aus ihren Taschen? Ihrer Kapuze? Ihrer Lunge? Ihre wunderschöne blaue Jacke bauscht sich nach oben. Dann

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