Ich bin alt und brauche das Geld
Praxis für Physiotherapie. Neben den üblichen Behandlungen gab es dort teure und gut besuchte Kurse in Yoga und Pilates sowie in ein paar anderen Disziplinen, die so blumige Namen trugen wie Duftreisen ins Ich und Dein innerer Garten . Doro bot mir ständig die kostenlose Teilnahme an ihren Entspannungskursen an, aber ich war noch nicht so weit, wieder unter Menschen zu gehen. Mein innerer Garten war eine Trümmerlandschaft, da wollte kein Mensch hinreisen, ich schon gar nicht. Es kostete mich ja schon Überwindung, mit Doro und Dirk zusammen zu sein. Vor allem, wenn sie einander ständig befummelten.
»Natürlich helfe ich dir beim Renovieren«, sagte Dirk, während er sichtbar die Armmuskeln spielen ließ.
Doro seufzte verhalten. »Oh, ja, das kannst du wirklich gut.«
Trübselig überlegte ich, ob sie das Renovieren oder seinen Muskeltonus meinte. Oder vielleicht was ganz anderes, das ich gar nicht wissen wollte.
Trotzdem war ich froh, dass ich die beiden hatte, nicht nur, weil ich bei ihnen auf dem Sofa schlafen durfte. Sondern weil sie sich für den nächsten Tag extra freigenommen hatten, damit ich den schweren Gang zu Klaus’ Beerdigung nicht allein antreten musste.
Mir war schon den ganzen Abend elend deswegen, und es wurde immer schlimmer, je öfter ich daran dachte.
Ich kreuzte ein Sofa namens Ektorp und einen Tisch namens Melltorp an, dann legte ich den Katalog weg und stand auf. »Ich mache noch eine Flasche Wein auf«, sagte ich.
Als ich mit der offenen Flasche aus der Küche zurückkam, hatten Doro und Dirk sich ins Schlafzimmer verzogen, was nach Lage der Dinge wohl als rücksichtsvoll gelten musste, denn sie hatten sowieso schon kurz davorgestanden, es gleich dort auf dem Sofa miteinander zu tun. Genau da, wo ich nachher wieder schlafen musste.
Um mich von meiner Angst vor dem kommenden Tag abzulenken, und weil der Pinot noir zu schade war, ihn bis zum nächsten Tag stehen zu lassen, sorgte ich allein dafür, dass nicht allzu viel davon übrig blieb.
Wenigstens konnte ich danach hervorragend einschlafen, fast so gut wie nach der Überdosis Baldrian. Aber da ahnte ich ja auch noch nicht, was mir der nächste Morgen bescheren würde.
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Unerwünschter Stress vor der Geburt oder:
Was zieht man im neunten Monat zur Beerdigung an?
Mir ist völlig klar, dass ich mich in sinnlosen Zorn reinsteigere und damit mein Karma ruiniere und dass es nicht gut fürs Baby und sowieso ganz ungesund ist. Aber wenn man sich den Brief ansieht, den mein Vater mir letztens geschrieben hat, kann man nur sauer werden, ehrlich. Versetzt euch mal in meine Lage: Stellt euch vor, ihr habt euren Vater seit Ewigkeiten nicht gesehen. Zuletzt hat er zur Geburt eures ersten Kindes vor sechs Jahren eine popelige vorgedruckte Karte geschickt, deren Text lautete: Glückwunsch zur Geburt des strammen Stammhalters . Wobei jetzt nicht mal groß drauf rumgeritten werden soll, dass es ein Mädchen war. Die Geburt des zweiten Kindes hat euer Vater erst gar nicht zur Kenntnis gekommen. Geschweige denn die Tatsache, dass ihr bald Kind Nummer drei kriegt. Stattdessen schreibt er euch diesen komischen Brief, in dem er nur darüber jammert, dass er pleite ist und wie scheiße es ihm geht, weil seine letzte Beziehung in die Brüche gegangen ist. Mit der Frau seines Lebens, die angeblich das Beste war, was ihm je passiert ist. Er schreibt, er hätte diese Charlotte unbedingt heiraten wollen, aber er hat’s vergeigt und ist deswegen jetzt restlos am Ende. Ich meine, hallo? ! Geht’s noch??? Er meldet sich nach fast sechs Jahren das erste Mal wieder bei mir, seiner einzigen Tochter, und hat nichts Besseres zu tun, als über seinen Trennungsschmerz rumzuheulen! Er hätte ja zum Beispiel auch mal fragen können, wie es mir geht. Oder Mister HOTMAMI. Oder den Kindern. Oder wenigstens dem einen Kind, zu dem er mir gratuliert hatte. Aber nein, es ist viel wichtiger, dass es ihm scheiße geht. Und ich bin auch noch so blöd und schreibe ihm zurück. Okay, meine Antwort war nicht besonders nett. Ich hab ihm mitgeteilt, dass besagte Charlotte mich mal kreuzweise kann und dass ich genug eigene Probleme habe. Weil ich nämlich selber schon seit Monaten allein zurechtkommen muss und zufällig in Kürze dreifache Mutter bin. Und welche Nachricht kriege ich daraufhin als Nächstes, und das auch noch von fremder Seite? Dass er gestorben ist und dass ich mich als seine einzige Hinterbliebene um die Beerdigung kümmern muss. Na toll.
Morgen
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