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Ich bin alt und brauche das Geld

Ich bin alt und brauche das Geld

Titel: Ich bin alt und brauche das Geld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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etwas wie Friede über mich. Doro hatte recht – bei dem Anblick fühlte ich mich besser. Ich horchte in mich hinein, und nein, es zerriss mir nicht mehr das Herz, das war vorbei. Heute würde ich nicht heulen.
    Klaus hatte mir mehr Scherben hinterlassen, als ich jemals aufsammeln konnte, aber die wichtigsten Brocken hatte ich schon zusammengefegt und würde mir daraus mein Leben wieder zusammenbauen.
    »Es geht schon«, sagte ich zu Doro, und das war in diesem Augenblick die volle Wahrheit.
    Die Julisonne fiel durch die hohen bunten Fenster in die Halle und stach mir trotz der dunklen Brille schmerzhaft in die Augen. Für die sommerliche Witterung war ich viel zu warm angezogen, ich merkte, wie mir unter der Kostümjacke der Schweiß ausbrach. Außerdem hätte ich gut ein weiteres Aspirin vertragen können, hinter meinen Schläfen hämmerte es immer noch wie auf einer Großbaustelle. Gerade fing ich an, mich zu fragen, wann es wohl endlich losging, als eine Frau in die Trauerhalle kam. Auf den ersten Blick sah sie aus wie ein lila Elefant mit langen blonden Haaren, und auf den zweiten wie eine schwangere junge Frau mit einem enormen kugeligen Bauch unter einem ausladenden dunkellila Kaftan. Ihre Beine waren in Anbetracht ihres gewaltigen Leibesumfangs recht schlank. Die Füße steckten in einer Art Gesundheitslatschen, und die Augen hatte sie wie ich hinter einer großen Sonnenbrille versteckt. Über der Schulter trug sie eine Handtasche von der Größe eines mittleren Kopfkissens, und an der Hand zog sie einen kleinen Jungen von etwa drei Jahren hinter sich her. Gleich darauf war zu sehen, dass sie ein weiteres Kind im Schlepptau hatte – ein kleines Mädchen trat aus ihrem Schatten heraus, ein bisschen älter als der Junge, vermutlich fünf oder sechs. Die Kinder waren Blondschöpfe wie die Frau, und alle drei machten ganz den Eindruck, als wären sie überall anders lieber als hier auf dem Friedhof. Der kleine Junge quengelte vor sich hin und zerrte an der Hand der Frau, und das Mädchen blieb mit skeptischer Miene an der Eingangstür stehen.
    »Oh Gott«, murmelte Doro neben mir. »Der Typ wird doch nicht noch obendrein …« Den Rest hörte ich nicht, er wurde übertönt von dem Raunen aus den Stuhlreihen hinter mir, wo sich die restliche Trauergemeinde wohl gerade dasselbe fragte wie Doro.
    Von meinem Platz in der ersten Reihe aus betrachtete ich eingehend das madonnenhaft hübsche Gesicht der jungen Frau und fand bestätigt, was ich schon vermutet hatte – das musste Klaus’ Tochter Jennifer sein, und die beiden kleinen Kinder waren offensichtlich seine Enkel. Er hatte nur von einem Kind gesprochen, anscheinend hatte sich die Existenz des zweiten – und bald dritten – nicht mehr bis zu ihm herumgesprochen.
    Gleich darauf wurde auch die Frage beantwortet, die ich mir in den letzten Tagen schon mehrfach gestellt hatte, nämlich wer sich um die Beerdigung kümmerte. Allem Anschein nach war diese Aufgabe Klaus’ Tochter zugefallen, denn sie ging zu den drei weiß behandschuhten Männern und redete leise mit ihnen. Danach spazierte sie um das Podest herum und begutachtete mit kritischem Blick die Urne und die Blumen, bevor sie auf ihre überdimensionale bunte Armbanduhr schaute. Anschließend sah sie irritiert die versammelten Frauen an, mich eingeschlossen. Ein halb mitleidiger, halb verächtlicher Ausdruck zeigte sich auf ihrem Gesicht.
    »Es kann losgehen«, sagte sie vernehmlich zu den Männern.
    »Ich muss mal«, quengelte der kleine Junge.
    »Mach in die Pampers«, befahl die Frau.
    »Aber ich muss! «, rief der Knirps mit durchdringender Stimme.
    Er fing an zu zetern und zerrte so heftig an der Hand seiner Mutter, dass sie ihn unwillkürlich losließ, worauf der Junge rücklings auf sein – durch die Windel ausreichend gepolstertes – Hinterteil plumpste und ein ohrenbetäubendes Geheul anstimmte. Die Frau tat so, als gehe es sie nichts an. Sie wartete hoheitsvoll auf den Beginn der Zeremonie, und als sich nichts tat, weil die Männer peinlich berührt das kreischende Kind anstarrten, gab sie ihnen ein ungeduldiges Zeichen. »Das ist bloß ein Trotzanfall, darauf muss man nicht eingehen. Er hört irgendwann von alleine auf. Fangen Sie einfach an!«
    Einer der Männer nahm mit feierlicher Geste die Urne in beide Hände und ging gemessenen Schritts zum Ausgang. Die beiden anderen folgten ihm als Geleit, mit pietätvoll verschränkten Händen und gesenkten Köpfen. Hinter mir scharrten Stühle, die

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