Ich bin an deiner Seite
liebst es zu malen. Sie hat dir das Schwimmen beigebracht, und du liebst den Ozean. Und sie war freundlich und liebevoll und wunderschön in ihrem Inneren, genau wie du.«
»Denkst du das wirklich?«
»Ich schätze, sie wird immer in dir sein.«
Mattie biss sich auf die Unterlippe. »Wollen wir sie aufmachen?«
»Wenn du willst.«
Sie bewegte sich nicht sofort, aber bald wanderte ihre Hand zu ihrer Tasche. Bald öffnete sie die Dose; entrollte das Papier.
Mein Engel,
das hier wird mein vorletzter Brief an Dich. Ein weiterer erwartet Dich an Deinem sechzehnten Geburtstag. Aber jetzt, auf dieser Reise, sind dies meine letzten Worte an Dich.
Ich hoffe, es gefällt Dir in Vietnam. Es ist ein Ort, an dem es einmal nur Krieg und Leiden gab, aber jetzt ist es anders. Jetzt gibt es Hoffnung. Und ich glaube, Du wirst diese Hoffnung spüren und etwas daraus lernen.
Ich weiß, dass Du glaubst, dass eure Reise in Vietnam endet, aber das ist nicht der Fall. Ich möchte, dass Du Dir mit Deinem Vater ein neues Land aussuchst, einen Ort, an dem er und ich niemals waren.
Ich möchte, dass ihr beide euch eigene Erinnerungen schafft, dass ihr durch eine neue Stadt geht und ihre Wunder entdeckt und dass Du spürst, wie Dich diese Wunder von Deinen Zehenspitzen bis ganz oben in Deinen Kopf ausfüllen. Und ich möchte, dass Du mir von diesen Wundern erzählst, in Deinen Gedanken, in Deinen Träumen und in Deiner Kunst.
Wo wir gerade von Kunst sprechen, wirst Du etwas für mich tun, Mattie? Würdest Du eine Ausstellung für Deinen Papa und mich machen? Über die Orte, an denen Du warst? Ich möchte Deine erste Ausstellung sehen. Das will ich schon so lange, aber ich werde keine Gelegenheit mehr bekommen. Zumindest nicht in diesem Körper. Also stell Deine Bilder aus und sei sicher, dass ich sie mir von oben ansehe.
Ich bin so stolz auf Dich, Mattie. Ich könnte Dich nicht mehr lieben, als ich es schon tue. Bitte sei nicht traurig meinetwegen. Ich fühle, dass ich an einen schönen Ort gehe. Ich weiß nicht, wohin ich gehe, aber ich habe keine Angst. Mir wird es gut gehen. Und ich werde bei Dir sein, wenn Du Deinen Schulabschluss machst, wenn Du aufs College gehst, wenn Du anfängst, auf eigenen Beinen zu stehen. Wenn Du beschließt zu heiraten, selber Kinder zu haben, dann bin ich auch bei Dir. Genauso wie ich immer bei Dir sein werde in den Höhen und Tiefen Deines Lebens.
Während der vergangenen Monate habe ich viel über die Reise gelesen, die ich bald antreten werde. Weißt Du, was Albert Einstein über diese Reise sagt? Er sagt: »Unser Tod ist kein Ende, wenn wir in unseren Kindern und der jüngeren Generation gelebt haben. Denn diese sind wir selbst, unser Körper nur ein welkes Blatt am Baum des Lebens.«
Aus tiefstem Herzen, Mattie, glaube ich seine Worte. Ich werde immer bei Dir sein, mein geliebtes Mädchen. Wie die Sonne am Himmel. Wie das Grün, das den ganzen Winter tief in der Erde schläft und im Frühling zurückkehrt.
Sei glücklich, Mattie. Lass mich sehen, wie Du tanzt und singst und lächelst. Eine Mutter und ihre Tochter haben eine besondere Verbindung, eine Verbindung, die niemand jemals trennen kann. Sie wird vielleicht auf die Probe gestellt. Vielleicht reißt manches daran. Aber diese Verbindung hält. Für immer.
Ich liebe Dich, mein großartiges, wunderbares Kind. Und jetzt geh und lache. Geh und sei frei.
Mami
Mattie ließ das Papier los, sodass es sich wieder zusammenrollte. Dann las sie den Brief noch zweimal, fuhr die letzten Worte mit dem Zeigefinger nach. Endlich steckte sie den Zettel zurück in die Dose. »Sie sagt das, was du sagst, Papa.«
»Was meinst du, Schatz?«
»Sie sagt, dass sie in mir ist.«
Er nahm ihre Hand in seine. »Natürlich ist sie das.«
»Liest du jetzt deinen Brief?«
Nickend holte er seine Dose heraus. Er sah auf den Tempel, zum Himmel hinauf, auf das Gesicht seiner Tochter.
Mein Geliebter,
danke, dass Du auf diese Reise gegangen bist, etwas, um das ich Dich gebeten hatte, etwas, das nicht leicht für Dich gewesen sein kann, aber von dem ich hoffe, dass es schön war. Ich habe mit mir gerungen, ob ich Dich auf diese Reise schicken kann, aber am Ende hatte ich das Gefühl, keine andere Wahl zu haben. Du musstest noch mal dorthin gehen, wo wir so gerne noch einmal hinwollten, wo wir schon einmal gewesen sind. Du musstest leben.
In meiner Nachricht an Mattie habe ich sie gebeten, mit Dir nach Vietnam an einen neuen Ort zu reisen. Würdest Du das tun? Ich
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