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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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konnte. Sie zog sich höher, schwang ihre Beine über den Ast und tastete mit den Händen über den Stamm. Kletterpflanzen umrankten einen Teil des Baumes, und sie zog an einer, testete, wie stark sie war. Als sie beschlossen hatte, dass die Kletterpflanze halten würde, schob sie das gefaltete Papier zwischen die Kletterpflanze und den Stamm, schloss die Augen und sagte Hallo zu ihrer Mutter. Sie blieb ein paar Minuten im Baum und wiederholte schweigend ihren Wunsch.
    Ian half Mattie von dem Ast herunter und setzte sie auf seine Schultern. »Ich kann dir nicht versprechen, was sie sagen werden, Ru, aber ich werde Georgia fragen, ob sie und Holly sich in Vietnam mit uns treffen wollen. Sie könnten uns ein paar Tage begleiten, und ich bin sicher, wir hätten viel Spaß zusammen.«
    »Wirklich?«
    »Aye, aye, Erster Maat.«
    »Wirklich, Papa? Du würdest sie das fragen?«
    »Aber ja doch.«
    »Glaubst du, sie sagen ja?«
    Er deutete auf die Stelle, wo ihr Blatt unter der Kletterpflanze hervorlugte. »Das da ist der perfekte Wunschbaum, Ru. Siehst du, wie breit er ist und wie weit er nach oben reicht? Dass er so viele Äste hat, an denen die Leute ihre Wünsche befestigen können?«
    »Ja.«
    »Dieser Baum wird dich nicht im Stich lassen. Und deine Mutter auch nicht. Sie hat deinen Wunsch gesehen, und ich schätze, sie wird dafür sorgen, dass er in Erfüllung geht.«
    Mattie legte die Hände tiefer um seinen Kopf und drückte ihn fest. »Danke, Papa.«
    »Du erwürgst mich, Schatz«, erwiderte er lächelnd und fragte sich, ob Georgia wohl einverstanden sein würde, sich mit ihnen zu treffen, hoffte inständig, dass sie es war.
    »Rufen wir sie an«, sagte Mattie. »Jetzt gleich. Bevor sie sich etwas anderes vornehmen.«
    »Keine Sorge, Ru. Aber eine Sache noch.«
    »Was?«
    »Wenn sie uns nicht in Vietnam besuchen können, dann müssen wir abwarten und es auf ein anderes Mal verschieben. Und selbst wenn sie kommen und wir diese Reise zusammen machen, dann müssen wir uns in Vietnam von ihnen verabschieden. Unsere Reise ist fast vorbei.«
    »Ich weiß. Ich verstehe das.«
    Er küsste ihren Handrücken. »Deine Mutter war immer eine so gute Zuhörerin. Genau wie du.«
    »Und?«
    »Und jetzt gehen wir und finden heraus, ob sie deinen Wunsch in Erfüllung gehen lässt.«

Vietnam
    Ein Licht in ihren Augen
    Wenn du eine Frucht isst, denk an die Person,
die den Baum gepflanzt hat.
Vietnamesisches Sprichwort
    Nach einer einstündigen Fahrt vom Zentrum von Ho-Chi-Minh-Stadt stiegen Ian und Mattie aus einem verbeulten Jeep, bedankten sich bei dem Fahrer und gingen zum Cao-Dai-Tempel. Ian wollte den Tempel besuchen, weil seine Erbauer ein Jahrhundert zuvor die Cao-Dai-Religion gegründet hatten – eine Kombination aus Buddhismus, Islam, Christentum, Hinduismus, Konfuzianismus und einer ganzen Reihe von anderen weltweiten Glaubensrichtungen. Er erinnerte sich von seiner früheren Vietnamreise an das Gebäude und wollte es Mattie zeigen.
    Der Tempel war ein dreistöckiges, gelbrosafarbenes Gebäude mit zwei pagodenähnlichen Türmen auf jeder Seite des Haupteingangs. Mit Mattie an der Hand ging Ian über eine breite Promenade, auf der es fast keinen Verkehr gab und die ganz anders aussah als die Straßen in Ho-Chi-Minh-Stadt. An der gegenüberliegenden Ecke hielt ein Mann mit einer weißen Hose, einem schwarzen T-Shirt und einem traditionellen kegelförmigen Hut einen Vogelkäfig aus Bambus in der Hand. In dem Käfig saß eine grauweiße Taube.
    »Du Vogel freilassen, damit er dir bringt Glück?«, fragte der Mann und machte einen Schritt auf Ian zu. »Nur dich kostet fünf Dollar. Und fünf Dollar für Glück ist gutes, gutes Geschäft.«
    Ian lächelte den Fremden an, schüttelte aber den Kopf, weil er den Tempel betreten wollte, dessen Türen weit offen standen. Drinnen war das Gebäude so, wie er es in Erinnerung hatte – riesig und lichtdurchflutet. Massive pinkfarbene Säulen, um die sich schlangenartige grüne Drachen schlängelten, stützten das Dach. Die Drachen hatten die Mäuler aufgerissen und schienen zu grinsen. Das blaue Dach war mit Wolken bemalt. Vielleicht das Auffälligste war der Boden, auf dem keine Bänke oder andere Sitzgelegenheiten für Besucher standen, sondern der ganz leer und mit einem Muster aus braunen und weißen Fliesen bedeckt war. An den Wänden schienen Bilder von einem einzigen Auge, aus dem Sonnenstrahlen in alle Richtungen schossen, auf die Hunderte von Betenden herabzublicken, die auf

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