Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
Vom Netzwerk:
raufschleppen«, fügte Ian heftig schwitzend hinzu.
    »Papa! Hör auf, dich so anzustellen!«
    Rupi lachte und blickte über den Rand des Waggons, überrascht darüber, wie hoch sie schon waren. Er zog Prem aus seiner Tasche und zeigte ihm die Aussicht. »Hab keine Angst«, flüsterte er auf Hindi. »Ich verspreche dir, dass dir nichts passiert.«
    Endlich erreichte der Waggon das Plateau oben auf dem Hügel, das ungefähr fünf Meter lang war, bevor es in einer Reihe von Kurven wieder nach unten ging. »Seht euch um, ihr zwei«, sagte Ian und blickte auf die Stadt in der Ferne. Varanasi schien unter der sinkenden Sonne zu schmelzen. Direkt vor ihnen markierten zwei nackte Glühbirnen den Anfang der Abfahrt. Um die Glühbirnen schwirrten Hunderte von fliegenden Insekten.
    »Halt dich fest!«, schrie Mattie, als der Waggon nach vorn und unten kippte.
    Die Abfahrt war schneller, als Ian es für möglich gehalten hätte. Der Waggon raste herunter, als befände er sich im freien Fall, und brachte Mattie und Rupi zum Schreien. Ian lachte bei dem Geräusch der kreischenden Kinder und hielt sich fest, während der Waggon nach unten raste. Obwohl die Strecke keine Loopings hatte wie die Achterbahnen zuhause, fand Ian diese Erfahrung schöner. Die Welt rauschte vorbei, sein Herz schien ein paar Schläge lang auszusetzen, und Mattie und Rupi schrien, als säßen sie im Space Mountain in Disneyworld.
    Als sie sich der Schlange von Leuten am Boden näherten, verlangsamten unsichtbare Bremsen den Waggon in mehreren Schüben. Ian sah, wie Mattie sich zu Rupi hinüberbeugte und mit ihm lachte. In diesem Moment verließ Ian die Freude. Er dachte daran, dass er ihr niemals einen Bruder oder eine Schwester gegeben hatte, dass sie dazu verdammt war, allein aufzuwachsen, und dass er eines Tages sterben und sie ohne Familie zurücklassen würde.
    Beherrscht von solchen Gedanken, fühlte er sich in dem ramponierten Waggon plötzlich eingesperrt. Ihm fiel zum ersten Mal auf, wie alt er war – sah den Rost auf dem Boden, die ausgefransten Enden der Sicherheitsgurte. Er beobachtete, wie Mattie Rupi aus dem Sitz half, und wusste, dass sie bald wieder getrennt sein würden. Mattie würde Indien verlassen, und Rupi würde wieder auf sich allein gestellt sein. Ian hatte bereits beschlossen, dass er den nächsten Morgen damit verbringen würde, nach Waisenhäusern zu suchen und Kontakt zu ihnen aufzunehmen, aber er machte sich Sorgen, dass man ihn abweisen würde. Er konnte Rupi nicht auf der Straße zurücklassen, aber wenn die Waisenhäuser voll waren oder kein Interesse hatten, was blieb ihm dann anderes übrig?
    Mattie nahm Rupis Hand und lief auf das nächste Fahrgeschäft zu – das aussah, als müsse man mit Wasserbomben gegeneinander kämpfen. Und tatsächlich standen sich zwei gegnerische Parteien ungefähr drei Meter voneinander entfernt gegenüber und benutzten überdimensionierte Schleudern, um Wasserbomben aufeinander abzufeuern. Die Beteiligten standen in Maschendraht-Käfigen, damit fehlgeleitete Ballons nicht auf vorbeilaufenden Besuchern landeten.
    »Rupi und ich gegen dich, Papa!«, meinte Mattie und reichte dem Helfer ihre Eintrittskarten. Der Mann erklärte ihnen auf Englisch die Regeln, gab Ian einen Eimer mit zehn Wasserbomben und reichte den anderen vollen Eimer Mattie und Rupi.
    Ian scherzte mit Mattie, lachte, versuchte sie aufzuheitern, obwohl ihm selbst nicht mehr heiter zumute war. Ich bin ein so verdammt schlechter Schauspieler geworden, dachte er, während er einen Ballon hochhielt und drohte, ihn auf seine Tochter zu werfen. Kate ist tot. Und manchmal habe ich eine Scheißangst vor der Zukunft. Aber ich muss lächelnd so tun, als würde der nächste Tag schön. Aber was, wenn es niemals schön wird? Was, wenn ich bis zum Ende meines Lebens so tun muss? Bald wird Mattie mich durchschauen, und dann mache ich sie nur noch trauriger.
    Weil sein Magen wieder schmerzte, kaute Ian eine Tablette und nahm einen roten Ballon in die Hand. Er legte ihn in die Schleuder, spannte sie und schrie: »Seid ihr bereit, nass zu werden?«
    Mattie und Rupi lachten und arbeiteten zusammen, um ihre Schleuder zu spannen. Mattie schrie auf, als sie losging, und ihr blauer Ballon flog durch die Luft und traf den Maschendrahtzaun über Ians Kopf, sodass er von Wasser überschüttet wurde. »Wie ich sehe, war das eine Kriegserklärung an mich, Blackbeard den Schrecklichen«, erklärte er und sprach wie ein wütender Pirat. »Nun, ihr

Weitere Kostenlose Bücher