Ich bin da noch mal hin
Vorbehalte gegen den Camino, die bis heute viele Engländer teilen. Es wird noch lange dauern, bis so viele Briten dem Ruf des Camino folgen, wie Spanier und Deutsche es bereits getan haben.
Ich bin bereit für die zwei Kilometer Anstieg nach La Faba hinauf, die Lozano als »mühevoll« bezeichnet. Doch der Abschnitt erweist sich als hübscher Spaziergang auf einem felsigen Pfad, beschattet von Kastanienbäumen mit weißfedrigen Blüten. Die Sonnenstrahlen, die auf eine riesige schwarze Nacktschnecke direkt vor mir und auf die Ahornbäume zwischen den Kastanien fallen, verstärken die Illusion, zu Hause zu sein. Eine ältere Pilgerin, die sich auf einem Baumstamm ausruht, erinnert mich daran, wo ich wirklich bin und auch vor neun Jahren schon war. Ihr Freund ist ein paar Meter weiter vorn, ich weiß die Frau also in Sicherheit, auch wenn sie müde ist. Es gibt keinen Grund, ein spontanes Angebot zu wiederholen, das ich 2001 genau hier gemacht habe. Hans und ich hatten an diesem Tag einen Gepäcktransportservice in Anspruch genommen und wanderten nur zwölf Kilometer von der Herberge in Vega de Valcarce nahe Ruitelán nach O Cebreiro. Von unseren Rucksäcken befreit und angesteckt von der bonhomie des Camino bot ich einer erschöpften Pilgerin an, ihren Rucksack die restlichen fünf Kilometer nach O Cebreiro zu tragen. Zu meinem Glück lehnte die Frau mein spontanes Angebot ab, wahrscheinlich in der irrigen Annahme, dass Leiden für die innere Entwicklung des Pilgers unabdingbar ist. Hans und ich waren noch ein paar Schritte nach La Faba hinaufgestapft und hatten dort unserer Lieblingsbeschäftigung gefrönt: Kaffeetrinken.
Hans hat mehr Schwierigkeiten, sich vom Tresen loszureißen, als er beim Aufstieg durch den Wald nach La Faba hatte. Vier Pilger haben ihn erkannt, und er versucht, ihre Rucksäcke zu signieren, während man ihm gleichzeitig jovial (und ziemlich heftig) auf den Rücken klopft. Besser, ich rette ihn.
»Hallo«, begrüße ich das Grüppchen und schüttle viele Hände, damit die Klapse aufhören. »Ist er wirklich so berühmt, wie er sagt?«, frage ich, ungläubig über ihre augenscheinliche Begeisterung, Hans zu treffen.
»Oh ja! Sehr berühmt! Und so witzig! Wir alle lieben ihn!«, rufen sie im Chor und lassen Hans dann endlich gehen.
»Hans, ich merke schon, dass jeder dich kennt. Aber bist du denn in Deutschland so berühmt wie, sagen wir, Lothar Matthäus?«
»Ach, Anne, da bin ich mir nicht sicher. Ich weiß es nicht«, sagt er, jetzt schüchterner als gegenüber seinen deutschen Fans.
»Also, dann fange ich es anders an: Kennst du Lothar Matthäus?«
»Äh, ja. Ein bisschen … Ich meine, ziemlich gut … Zumindest bin ich ihm begegnet.«
»Welche Prominente, die ich vermutlich kenne, hast du außerdem persönlich getroffen?«
»Hm. Boris Becker. Madonna.«
»Madonna?«
»Ach, aber das war ganz zu Anfang meiner Karriere. So richtig kennen tue ich sie nicht.«
»Madonna, Hans? Madonna ? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie berühmt du in Deutschland bist.«
»Du musst dir eine meiner Shows ansehen, dann kannst du dir ein Bild von meiner Arbeit machen. Ich lade dich gerne ein.«
Ich rühre in meinem Kaffee und sehe zu, wie Hans’ deutsche Fans aus der Tür taumeln. Sie winken zum Abschied und marschieren Richtung O Cebreiro. Ich merke, dass Hans mich anstarrt.
»Was ist denn?«
»Warum hast du der Frau angeboten, ihren Rucksack zu tragen?«
»Äh, ich weiß es nicht. Ich kann es nicht erklären. Egal. Ich hätte ihn sowieso nicht weit getragen.«
»Ach? Wie meinst du das?«
»Ich wollte ihn dir geben, Hans.«
Wahrscheinlich war sein dröhnendes Lachen noch in O Cebreiro zu hören. Aber ich musste mich ja irgendwie dafür rächen, dass ich seit Santo Domingo überflüssigerweise seine Therm-A-Rest mitschleppe.
Das einem Zuckerwürfel nachempfundene Café steht noch, aber am Tresen sitzen drei junge Spanier, keine Deutschen, ganz versunken vor dem Fernsehschirm. Königin Sofia von Spanien steht mit einem rot-gelben Fußballschal um den Hals in der spanischen Mannschaftskabine und gratuliert ihrem Team zum Sieg über Deutschland am Mittwoch. Sie tätschelt die bloßen Arme der Spieler, die geschickt Wasserflaschen aus ihrem Weg kicken, damit sie nicht stolpert. Die hocherfreute Königin und die Spieler applaudieren spontan und alle grinsen. Ein Tag des Lobs, der Helden und der puren Freude. Schauplatzwechsel. Plötzlich Sanfermines in Pamplona, Stiere preschen durch die
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