Ich bin da noch mal hin
und unschuldig wie die unbefleckte Empfängnis.
»Nun, Madison, sie ist die Mutter von Jesus. Wer das war, weißt du aber?«, fragte ich ganz langsam.
»Äh, so ungefähr. Weißt du, ich verstehe eigentlich nicht, worum es da geht.«
Diese junge Frau aus Portland, Oregon, in deren Schuld ich für alle Zeit stehe, weil sie mich 2001 überredet hat, San Nicolás zu besuchen, hatte keinen Schimmer von den Grundlagen des Christentums. Sie stammte aus einer bekennend atheistischenFamilie und war in einem entschieden säkularen Haushalt großgeworden. Meine eigenen Eltern, eher lockere Protestanten, hatten alle ihre vier Kinder auf eine anglikanische Grundschule geschickt, wo wir einmal die Woche von Pastor Mr Gee in Religion unterwiesen wurden. Sogar der Oberlehrer Mr Draper mahnte uns regelmäßig, egal welches Fach er gerade unterrichtete, Jesus’ Gebot der Nächstenliebe zu befolgen.
»Damit ist nicht die gefühlsduselige Liebe gemeint, von der die dummen Popsongs handeln«, erklärte er uns, als ob wir als Zehnjährige den Unterschied zwischen dieser Liebe und dem tiefen Mitgefühl des Heilands gekannt hätten.
Später, zwischen zehn und zwanzig, besuchte ich freiwillig das Abendmahl in der Saint Saviour’s Church of England, um anschließend in meinen besten Kleidern zur Sonntagsschule in der Methodistenkapelle zu rennen. Die Unterschiede zwischen den beiden Lehren kümmerten mich nicht. Ich war sicher, dass Jesus bei uns war, ob die Kirche nun von Heinrich VIII. oder von John Wesley gegründet worden war. Als ich vierzehn war, veranstalteten ein paar bibeltreue Missionare in der Kapelle eine einwöchige Workshopreihe, in der Gitarre gespielt und die Bibelexegese scharf kritisiert wurde. Damals überkam mich ein derartiger religiöser Eifer, dass ich einen Brief an Jesus schrieb und ihn in mein Herz einlud. Ich war mir nie sicher, ob Jesus ihn gelesen hat, denn als ich wenige Monate später meine Sonntagsschullehrerin mit Fragen löcherte, schritt er nicht ein.
»Mrs Ramsbottom«, fragte ich, »es geht um Adam und Eva. Ich verstehe nicht, wieso die menschliche Spezies durch sie entstanden ist, es gibt doch auch die Evolution. Verstehen Sie das?«
»Na ja, sie waren die ersten Menschen, die durch die Evolution entstanden«, erklärte sie.
»Aber woher weiß man, dass die ersten beiden Menschen Adam und Eva hießen? Jedenfalls hat die Evolution Millionen von Jahren gedauert, nicht nur sechs Tage, und wir stammen von den Affen ab und sind nicht aus Staub erschaffen, oder? Wie kann es sein, dass die Evolution und die Bibel beide wahr sind?«
Mrs Ramsbottom setzte mich vor die Tür, und ich entschied mich daraufhin für die Naturwissenschaften. Jedoch nicht, ohne häufig in die christliche Welt zurückzukehren, um herauszufinden, wo die religiöse Wahrheit angesiedelt sein mag.
Madison hätte schwerlich jemand Besseren finden können als mich, um etwas über Jesus Christus zu erfahren. Obwohl ich im Krippenspiel meiner Schule nicht den Erzengel Gabriel verkörperte (das übernahm meine fünfjährige Schwester Jane, die mit ihren Kleiderbügelflügeln zu weinen begann, als ein unartiger Schafhirte zischte, Gabriel sei eigentlich ein Junge), aber ich kannte die christlichen Erzählungen recht gut. Als wir vor dem retablo standen, zeigte ich ihr die Figuren in den verschiedenen Nischen und begann mit meiner verkürzten Version der Lebens- und Missionsgeschichte des Heilands.
»Also, Madison«, sagte ich, »das da, in der Mitte, ist Maria. Sie erschrickt furchtbar, als sich herausstellt, dass sie schwanger ist, denn sie ist Jungfrau und hat keine Ahnung, wie sie zu dem Kind gekommen sein soll. Doch der Engel Gabriel, da, schau, rechts, steigt aus dem Himmel herab, zeigt sich ihr und macht ihr klar, dass sie mit Gottes Sohn Jesus schwanger geht. Diesen Augenblick nennt man die Verkündigung. Die Taube über ihren Köpfen repräsentiert den Heiligen Geist, die Macht Gottes, der Maria schwanger gemacht hat, und da oben fliegt Gott im Himmel herum und sieht auf sie herab. Maria ist so erleichtert, dass sie ihre Cousine Elisabeth besuchen geht, hier, schau, oben links, um ihr die gute Nachricht zu erzählen. Sie stimmt einen Lobgesang an, das sogenannte Magnifikat. Da liegt Jesus als Baby, in einem Stall, weil alle Herbergen in Bethlehem voll waren. Das ist der Ursprung des Weihnachtsfestes. Das, schau, oben rechts, ist Maria im Tempel in Jerusalem, wo sie Jesus beschneiden lässt. Der alte Mann ist Simeon, und er
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