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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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England gegen Deutschland!«, ermahne ich alle, als wir nach dem Essen auf dem Bürgersteig stehen.
    »Ach ja!«, ruft Steve. »Um wie viel Uhr denn?«
    »Um vier. Bis dahin müssen wir in Carrión sein.«
    »Kein Problem! Bis morgen, Anne.«
    »Bis morgen! Gute Nacht.«
    Jeder geht in seine Herberge. Ich kann den nächsten Tag kaum erwarten. Endlich: England gegen Deutschland!

Sonntag, 27. Juni 2010
    Ich wandere 19,3 Kilometer von Frómista nach Carrión de los Condes und … England spielt in der WM gegen Deutschland
    Um 6 Uhr 30 Uhr sitze ich an dem langen Tisch im Frühstücksraum. Ich bin fest entschlossen, um sieben Uhr loszumarschieren, damit ich die neunzehn Kilometer bis Carrión de los Condes rechtzeitig zum Anpfiff des Spiels England gegen Deutschland schaffe, das um 16 Uhr beginnen soll. Neun Stunden genügen ja schon fast, um gleich bis Südafrika zu gehen, aber ich will kein Risiko eingehen. Die Topografie des Tages ist jedenfalls auf meiner Seite – das Höhendiagramm, das ich von Wim bekommen habe, zeigt, dass es sich um die flachste Etappe des ganzen Camino handelt. Sofern ich also nicht aus reiner Langeweile umfalle, sollte ich mich am Zielort bereits eingerichtet, meine Wäsche gewaschen und geduscht haben, wenn der Schiedsrichter das Spiel anpfeift. Schon jetzt, am frühen Morgen, bin ich schrecklich aufgeregt.
    Señor Carmen schenkt mir Kaffee ein. Er scheint es mir nicht nachzutragen, dass er am Tag zuvor aus der Küche geworfen wurde. Wie er mir erzählt, hat Ghana die USA am Vorabend nach Verlängerung zwei zu eins geschlagen. Nun bin ich froh, dass Lisa die WM »so schnuppe wie nur irgendwas« ist. Sie hat heute genug schlechte Neuigkeiten zu verkraften. Wenn sie aufwacht, wird sie sehen, was ich bereits vor einer halben Stunde gesehen habe: Jodies Pritsche ist leer, Jodies Rucksack weg, Jodie selbst nirgends mehr zu entdecken. Ich habe keine Ahnung, ob sie sich einvernehmlich getrennt haben oder ob Jodie sich im Schutz der Dunkelheit einfach aus dem Staub gemacht hat.
    Palencia, eingekeilt zwischen Burgos im Osten und León im Westen, ist die schmalste der Provinzen, durch die der Camino führt. Aus Pilgersicht ist der siebenundsechzig Kilometer breite Streifen, der von der Puente de Itero bei San Nicolás bis zur Westgrenze bei Sahagún reicht, nichts als eine trockene Ebene, in der sich Getreide- und Luzernenfelder mit Ackerflächen abwechseln. Größere Ortschaften sucht man hier vergebens.Unser heutiges Ziel, Carrión de los Condes mit seinen gut zweitausendfünfhundert Einwohnern ist noch am ehesten eine Stadt zu nennen. Aber diese so genannte Tierra de Campos, das »Ackerland«, kann stolz behaupten, den Pilgern den Weg so angenehm wie möglich zu machen. Entlang der P 980 hat die Provinz einen Kiesweg bis nach Carrión angelegt. Wer also angesichts der eintönigen Landschaft einen Zusammenbruch erleidet, wird nicht einfach überfahren, sondern von nachfolgenden Pilgern wieder auf die Beine gebracht und mitgezogen.
    Immer noch hängen die dunklen Wolken von gestern Abend über uns und ein alter Mann in einem blauen Overall ruft »¡Buenos días!« von einem kleinen Gärtchen herüber, in dem Kartoffeln und Lauch gedeihen. Sie bescheren ihm sicherlich ein leckeres Süppchen. Kleingärten sind immer ein erstes Zeichen, dass man sich der Zivilisation nähert. Revenga de Campos ist noch nicht erwacht. Um 8 Uhr 40 (noch sieben Stunden und zwanzig Minuten bis zum Anpfiff) sind die Kirche und das Café noch geschlossen. Auch im nächsten Dorf, Villarmentero de Campos, sind diese beiden für jeden Pilger so wichtigen Einrichtungen noch nicht geöffnet. Die einzige Bewegung zeigen die Schwalben, die über die Ackergeräte hinwegstreichen, und eine spanische Flagge, die vom Geländer eines offenen Fensters weht. Rasch breitet sich ein wolkenloser blauer Himmel aus, und ich schreite über flache Pfützen hinweg, die in der Wärme des Tages auftrocknen. Am Fuß des Hangs, der nach Villasirga führt, umkreisen schwarze Schwalben meinen Kopf wie der Heiligenschein die Schmerzensmutter. Heute kann mir wirklich nichts den Tag verderben.
    Um 10 Uhr 40 (noch fünf Stunden und zwanzig Minuten bis zum Anpfiff) ist es bereits zu heiß, um draußen zu sitzen. Von meinem Platz in der Bar Cántigas habe ich einen guten Blick auf die stattliche Kirche Santa María la Blanca aus dem 13. Jahrhundert. Die mächtige steinerne Treppe, die zum Portal führt, kann in dieser flachen Gegend schon als Hügel

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