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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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Die Düsternis und Schwere der Leidensgeschichte des Erlösers wirkt auf mich nach der geselligen Runde al fresco deprimierend, und so gehe ich rasch wieder nach draußen, nachdem ich noch kurz das berühmte Taufbecken von Boadilla umrundet habe. Mir ist bewusst, dass für die Gläubigen die Auferstehung Christi den Triumph über alle Leiden bedeutet, aber als Biologin weiß ich auch, wie unmöglich es ist, dass Zellen nach dem klinischen Tod wieder lebendig werden. Das gilt auch für die unseres Erlösers.
    Hilary steht unter einem Schwalbenschwarm auf dem runden Platz und fotografiert den rollo aus dem 15. Jahrhundert, eine gotische Säule, an die man Verbrecher gekettet hatte, um sie hinzurichten. Ich hoffe, es wurden nicht in allen Fällen Todesurteile vollstreckt, aber der Mangel an Milde in der Geschichte des katholischen Spanien verstärkt meine Skepsis gegenüber der organisierten Religion, und so bin ich froh, als wir unsere persönliche Pilgerreise wieder aufnehmen. Eine Frau, die ihre Fenster putzt und ein Paar, das ein Baby in einem Kinderwagen schiebt, sind die einzigen der zweihundertfünfundachtzig Einwohner des beschaulichen Boadilla del Camino, die wir zu Gesicht bekommen. Wir gehen zwischen den Weizenfeldern Richtung Wasserturm, ohne unsere Freunde, die wohl vorausgegangen sind, während wir die Passionsgeschichte studierten. Der Treidelpfad entlang des Canal de Castilla führt uns wie gewohnt abwechselnd an Brachflächen und Weizenfeldern vorbei, aber es gibt ja die leuchtend gelben Schlüsselblumen, purpurnen Disteln, roten Mohnblumen und weißen Gänseblümchen zu sehen. Im Schilf des Kanals quaken die Frösche unentwegt. Schließlich erreichen wir die monumentale Schleuse und gelangen an Getreidespeichern vorbei nach Frómista.
    Frómista ist nicht nur für den Weizenanbau berühmt, sondern auch für seine San Martín geweihte Kirche. Erbaut im Jahr 1066, stellt sie laut Lozano den Höhepunkt der romanischen Baukunst in Europa dar und ähnelt der Kathedrale von Santiago. Angesichts dieser Information sollte ich mich besonders freuen, das Ziel erreicht zu haben, doch die drei Apsiden, die beiden Türme und die Laterne können mich nicht über den Abschied von Hilary hinwegtrösten. Ich war darauf eingestellt gewesen, habe aber nicht geahnt, dass es mich so unglücklich machen würde. Als sie zum Bus nach León geht, versuche ich mich mit den edlen Pflanzen- und Tierdarstellungen der Kapitelle zu beschäftigen oder das berühmte Relief mit dem Fuchs und dem Raben zu entdecken. Ich fühle mich schrecklich einsam unter all den Ausflüglern, die mit einer Begeisterung den steinernen Figurenschmuck identifizieren, die mich, die ich als Pilgerin hier bin, nur beschämen kann. Das spornt mich an, die Säulen etwas eifriger zu studieren, und so entdecke ich eine kleine Darstellung der Jünger, die sich umarmen. Da beschließe ich, aufzubrechen und die Freunde zu suchen, die ich in San Nicolás gewonnen habe.
    Jodie steht vor der Kirche und überlegt, ob sie noch die dreizehn Kilometer bis Villalcázar de Sirga (Villasirga) wandern soll, wo ein Klassikkonzert gegeben wird, von dem ihr Dario erzählt hat. Sie ist allein, aber ich frage lieber nicht nach Lisa. Stattdessen steuere ich auf die massive Tür in der roten Ziegelsteinmauer zu, die den Vorplatz der Kirche umgibt. Die Tür führt in den Hof der städtischen Herberge, wo Pilger damit beschäftigt sind, in einem steinernen Trog ihre Kleider zu waschen, an überdachten Tischen Wein zu trinken oder, ein für mich schwer erträglicher Anblick, ihre Fahrradtaschen die Treppe hinaufzuschleppen. Im sonnendurchfluteten Empfangsbereich drückt eine Frau einen hellblauen Stempel mit dem Bild der Kirche San Martín in mein credencial und unterschreibt mit dem Namen Carmen. In den kühlen Schlafräumen tanzen Lichtstrahlen über den gefliesten Boden zwischen den grauen Metallstockbetten. Die Stadt könnte deutlich mehr Pilger aufnehmen, würde sie die Schlafstätten enger zusammenschieben – rund um mein Bett wäre genug Platz, um es mit Rollerskates zu umzirkeln. Ein Schild an der Wand neben den Duschräumen verkündet: »Waschmaschine 3 Euro.« Ich krame all meine Kleider aus dem Rucksack und stürze nach unten, um die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen. Gerade habe ich Carmen auch noch die Hose und das Hemd übergeben, die ich in ihrer Küche ausgezogen habe, als ein Mann hereinplatzt.
    »Raus, hier ist eine Frau!«, ruft Carmen.
    »Aber ich wohne

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