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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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sie uns dennoch unserem Ziel näher bringen, sei es Santiago de Compostela, einem persönlichen Wunsch oder einem beruflichen Vorsatz. Es sind jene Tage der Stille, die dem Pilger auf dem Camino Gelegenheit geben, seine Bedürfnisse zu erlauschen, sich darauf einzustellen und sich zu wandeln.

Freitag, 2. Juli 2010
    Ich wandere 14 Kilometer von Mansilla de las Mulas nach León
    Manche Pilger meiden die größeren Städte an unserem heiligen Weg. Sie verabscheuen die Besichtigungen, die Läden und die Restaurants als billigen Tourismus und seichte Ablenkung von ihrer Hauptaufgabe, der »Selbstfindung«. Ich hingegen kann mir nichts Schöneres denken, als mich auf den belebten Straßen, in den unterirdischen Krypten und in den Hutgeschäften einer Metropole herumzutreiben. Und am Camino ist León schon so etwas wie eine Metropole.
    Beim Frühstück im Café direkt neben der Herberge waren wir noch zu viert. Anschließend mussten wir auf den verträumten Römer verzichten, denn er brauchte zu lange, um sich und sein Stativ startklar zu machen. Sara, Christian und ich überquerten die mittelalterliche Brücke über die Esla und ließen Mansilla de las Mulas hinter uns. Vierzehn Kilometer lang liefen wir an oder auf der N 120 durch Verkehr, Baustellen und die Tunnel halb fertiger Überführungen. Christians lebendige Schilderungen seiner Erlebnisse in Palästina lenkten uns von der stressigen Umgebung ab. Allerdings lauschten wir offenbar so hingerissen, dass wir das Tempo vernachlässigten, denn der leichtfüßige Dario holte uns bereits am Ortsrand von León ein. Er kam mit einer neuen Pilgerin, Kim aus Korea, mit ihren schicken Shorts die bestangezogene Pilgerin der Gruppe. Sie setzten sich zu Christian und mir an den Tisch im Freien. Sara holte aus dem Café Amay gerade tortillas für uns. Ich schlug meinen Lozano auf, um den Stadtplan von León zu studieren und mir die verbleibenden zwei Kilometer bis ins Zentrum anzusehen.
    »Ist das etwa dein Führer?«, fragte Dario belustigt.
    »Ja, wieso?«
    »Der ist aber groß! Und den schleppst du die ganze Zeit mit?«
    »Ja. Er ist es wert. Ich brauche ihn. Schau mal, so viele Informationen …«, erwiderte ich und blätterte für ihn die Seiten durch. »Außerdem, du musst gerade reden!«
    Wir alle wandten den Blick zu dem Stativ, das an der Cafémauer lehnte, und ich fragte mich, ob Kim wusste, was ihr bevorstand.
    Doch Dario schulterte das Stativ selbst, während ich meinen Lozano in die große Stadt trug. Meine Freunde bogen irgendwo ab, um die Benediktinerherberge zu suchen, ich hingegen ging weiter bis zur Calle Alcázar de Toledo, um mich für zwei Nächte in dem schmucken Hostal Bayón einzumieten. Nachdem ich mir den Industriedreck des Morgens abgewaschen hatte, unternahm ich eine Einkaufstour und erwarb bei der Camisería Ruiz an der Calle Ancha einen Hut. Hutgeschäfte haben auf mich die gleiche Anziehungskraft wie die Stimmen der Sirenen auf Odysseus und seine Mannschaft. Der Verlockung all der Strohhüte, Filzkappen und Wollmützen im Fenster konnte icheinfach nicht widerstehen. Ich betrat den Laden eigentlich, um den italienischen Papierstrohhut für zwanzig Euro zu erstehen, doch heraus kam ich mit einem teuren, edlen Exemplar. Ich hatte mich überreden lassen. Die Schmeicheleien der Verkäuferin hatten mich davon überzeugt, dass ich Santiago ohne den Schutz eines breitkrempigen Panama-Hutes, der »für die meisten Leute zu klein ist«, unmöglich erreichen würde. Der Hut sei wie für mich gemacht. So fühlte ich mich fast beschenkt, für ein solches Schmuckstück fünfzig Euro bezahlen zu dürfen … Nicht viel Geld, wenn ich dadurch der beginnenden Verkohlung meiner Ohrmuscheln Einhalt gebieten konnte.
    Vorerst verstecke ich den neuen Sombrero in meinem Zimmer und widme mich ein paar Stunden lang der Aktualisierung meiner Aufzeichnungen, bevor ich wieder in die Stadt gehe. Bei einer Ansammlung von Chromtischen und Korbstühlen an der Calle Ancha bleibe ich stehen. Hier, im Café Alonso, saß 2001 Hans, als ich nichts ahnend von der Calle de la Rúa hierher einbog. Ich hatte soeben bei der Armería Castro, die übrigens sämtliche Waffen im Sortiment hat, die Pilger brauchen können, wenn sie einen anderen Pilger erschießen wollen, neue Stiefel gekauft. Hans war ganz in seinem Element, nämlich beim Kaffeetrinken. Ich hatte ihn seit seinem Verschwinden aus Santo Domingo nicht mehr gesehen …
    »Ja hallo! Da bist du ja wieder! Du bist doch der, der mir die

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