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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Butterfield
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fahren. Gestern war es ein Klacks, so zu tun, als würde ich die zwei Tage Einsamkeit genießen. Jedes Mal hatte ich falsch gelegen. Meine Fähigkeit, mir über meine Neigungen, Fähigkeiten und Bewältigungsstrategien in die eigene Tasche zu lügen, hat mich, wie ich jetzt erkenne, immer wieder in Situationen gebracht, in denen ich mich völlig fehl am Platz fühlte. Ich darf mich nicht wieder selbst täuschen und mich für jemanden halten, der ich nicht bin, um anschließend wie ein Idiot dem für mich verkehrten Weg zu folgen. Ist es dieses Mal möglich, vom Camino zurückzukehren und ich selbst zu sein?
    »Auf dem Camino darf man nicht müde werden, nach dem zu suchen, was einem fehlt.«
    Habe ich es hier, im páramo , gefunden, ohne auch nur zu wissen, was ich suchte? Ich wünschte, Schwester María Anunciación wäre jetzt hier. Ich habe Neuigkeiten für sie.
    Aber erst einmal muss ich hier weg, bevor es zu spät ist. Wenn ich jetzt in mich hineinlausche, kann ich spüren, was mir fehlt: Gesellschaft. Ich beschließe, eine Möglichkeit zu suchen, auf den Real Camino Francés einzuschwenken, bevor meine authentische Via Traiana in Mansilla de las Mulas ohnehin auf ihn stößt. Aus der Zeichnung im Lozano schließe ich, dass das Dorf Reliegos am Real Camino irgendwo zu meiner Linken liegt. Wenn ich es finde, werde ich die verbleibenden sechs Kilometer auf dem »planierten Weg … inmitten einer herrlichen Platanenchaussee« zurücklegen, eine »bequeme, funktionelle Straße« wird mich nach Mansilla bringen. Ich kann es kaumerwarten, den unauthentischen Weg mit den Bänken, Rastplätzen und Pilgern zu erreichen. Mich links haltend, auf eine vielversprechende Reihe von Kleingärten zusteuernd, erreiche ich das aus rotem Lehm erbaute Dorf Reliegos. Die Belohnung dafür, dass ich doch noch meinem Instinkt gefolgt bin, ist eine briefmarkengroße plaza . Vor der Bar Gil liegt auf einem Grasfleck ein Mann, den ich kenne. Christian.
    »Hallo, Christian! Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst der hospitalero von San Nicolás?«
    »War ich. Weißt du nicht mehr, ich war bloß die Vertretung für die italienischen Freiwilligen, die sich verspätet hatten?«
    »Ach ja, stimmt. Ich bin jetzt seit Tagen ganz allein gewesen und freue mich riesig, dich zu sehen!«
    »Bist du auf der Via Traiana gekommen?« Wie schnell ein Pilger, der den Camino zum fünften Mal geht, doch die Lage erfasst!
    »Ja, genau. Das hätte ich allein wirklich nicht machen sollen.«
    »Aber es steht doch in jedem Führer, dass man diese Route nur in Gesellschaft gehen sollte.«
    Und das sagt er mir jetzt!
    Die freundliche junge Frau, die mit Christian Picknick macht, stellt sich als Sara aus Italien vor und bietet mir Schokolade an. Zusammen gehen wir drei auf dem platanengesäumten, funktionellen Weg nach Mansilla de las Mulas. Sara erzählt, dass sie mit ihrer Schwester unterwegs war, bis diese unvermittelt nach Italien zurückgereist ist.
    »Sie meinte, sie könne die Lektionen des Camino genauso gut zu Hause lernen«, erklärt Sara.
    »Hm, kann man sicher, aber es ist viel schwieriger, bei all den Ablenkungen«, erwidere ich, erleichtert, dass meine gnadenlos ablenkungsfreie Zeit im páramo vorüber ist.
    »Esst ihr heute irgendwo zu Abend?«, frage ich.
    »Ja, wir haben eine Verabredung«, antwortet Christian.
    »Ach! Ihr miteinander? Entschuldigt, ich wollte nicht aufdringlich sein«, sage ich munter, aber sehr enttäuscht.
    »Nein, nein! Leider nicht wir miteinander«, sagt Christian und sieht Sara an, die tut, als hätte sie nichts gehört. »Sondern mit zwei alten dänischen Damen.«
    Das hat Sara wieder mitbekommen.
    »Sie sind nicht alt!«, weist sie ihn scharf zurecht.
    Ich verstehe die Warnung, die Sara Christian hinpfeffert, er offenbar nicht.
    »Christian! Sind deine dänischen Damen etwa in meinem Alter, so um die fünfzig? Das ist doch nicht alt!«
    »Äh, äh, nein. Ich meinte nicht, ich, na ja … äh, nein, das habe ich nicht gemeint.«
    Christian ist so zerknirscht und durcheinander, dass ich ihn nicht länger quälen will. Zu dritt nebeneinander marschieren wir zwischen den rötlich verputzten Häusern durch die schmale Calle del Puente. Zwei sehr gepflegte Frauen trinken an einem Tisch vor der Herbergstür Bier und grüßen Christian und Sara. Es sind die dänischen Damen. Christian wirft mir einen Seitenblick zu. Ich betrete die Herberge, hebe die Augenbrauen und schneide ihm eine Grimasse. Die Schamesröte in seinem

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