Ich bin da noch mal hin
Therm-A-Rest geschenkt hat. Hans, nicht wahr? Ich bin Anne, falls du das vergessen hast.«
»Hallo, Anne! Ja, ich bin Hans-Peter. Schön, dich wieder zu treffen. Benutzt du die Isomatte?«
»Nicht oft. Seit unserer Begegnung habe ich nur einmal im Zelt übernachtet. Eigentlich schleppe ich sie umsonst mit, weil ich immer in Herbergen schlafe.«
»Setz dich doch! Wie geht es dir?«, sagt er und ignoriert damit meine Anspielung darauf, dass er mir zwei Kilo von seinem Gepäck aufgehalst hat.
»Wenn du es wirklich wissen willst, Hans-Peter, es geht mir nicht besonders. Ich musste mir diese Stiefel kaufen, damit mein Fußgewölbe nicht weiter einbricht. Der Physiotherapeutin Sahagún konnte sich gar nicht erklären, wie ich in Sandalen so weit gekommen bin.«
»Ich war auch bei David! Er meinte, meine Füße seien perfekt.«
»Du Glücklicher. Ich werde zwei Tage in León bleiben müssen, um meinen Ruhe zu gönnen.«
»Dann können wir uns doch zum Abendessen treffen, oder?«
»Können wir. Aber zuerst … kannst du mir eines erklären?«
»Bitte, was denn?«
»Sag mir, was mit dir los war. Ich dachte, wir könnten zusammen von Santo Domingo weitergehen, aber als ich aufwachte, warst du schon weg! Ich hätte nie geglaubt, dass du beim ›Rasen auf Blasen‹ mitmachst.«
»Ach, Anne, tut mir leid! Weißt du, es war so stickig und so laut, alle haben geschnarcht, und ich konnte nicht schlafen. Also bin ich um vier Uhr früh aufgestanden und wollte losgehen. Aber die Klostertür war versperrt! Dann habe ich auf einer Bank im kalten Verbindungsgang gesessen, bis die Nonnen mich um sechs Uhr rausgelassen haben.«
»Zwei Stunden hast du da gesessen? Warum bist du nicht wieder in den Schlafsaal gekommen?«
»Weil die Flurtür hinter mir zugefallen war. Ich saß in der Falle.«
»Ein Albtraum! Und dann bist du nach Belorado gewandert? Warum habe ich dich dort nicht gesehen?«
»Ich bin nicht nach Belorado gegangen. Ich war so müde, dass ich bloß ein paar Meter bis zum parador geschafft habe. Dort habe ich geschlafen und bin dann den ganzen Tag in Santo Domingo geblieben.«
»Wie bitte? Ich war wirklich enttäuscht, als ich deine leere Koje sah. Und jetzt erzählst du mir, du warst bloß ein paar Meter weiter in einem Luxushotel!«
»Ja, tut mir leid, so ist es.«
»Aber wie ist es dann möglich, dass du jetzt vor mir hier warst, Hans?«
»Äh, ja, also. Dafür gibt es auch eine Erklärung. Ich habe in Sahagún den Zug nach León genommen.«
»Wanderst du eigentlich überhaupt mal?«
»Ja. Aber nach Burgos bin ich auch mit dem Bus gefahren. Findest du, dass ich schummle?«
»Neeeeein!«, lüge ich. »Das ist natürlich nicht geschummelt. Hoffen wir bloß, dass dich die Camino-Polizei nicht dabei erwischt, wie du in einen Bus steigst.«
»Aber weißt du was? Ich glaube, ich gebe auf. Wegen meiner Knöchel. Die wandern nicht gern. Ich werde wohl abbrechen müssen.«
»Das darfst du nicht tun. Meine Füße sind auch total lädiert, aber schau, wie weit wir schon gekommen sind. Wir sind fast da, kurz vor dem Ziel.«
»Ich weiß nicht recht.«
»Bitte gib jetzt nicht auf. Es wäre zu schade. Bitte, hör auf mich!«
»Na gut, Anne, ich werde darüber nachdenken.«
Wir hatten uns gerade verabschiedet, als ihn ein paar Freunde begrüßten. Heute sitzt niemand an dem Tisch, und allein habe ich auch keine Lust. Also schlendere ich zum Café Europa an der plaza vor der Kathedrale, wo ich um vier Uhr nachmittags verabredet bin, aber meine Freunde sind nicht da. Drinnen sitzt auf einem hohen Hocker an einem hohen Cocktailtisch ein junger Pilger, der sich das WM-Viertelfinalspiel Niederlande gegen Brasilien anschaut. Da er weder Hallo sagt, noch den Blick vom Bildschirm wendet, setze ich mich zwar auf den Hocker neben ihm, aber an einen separaten Tisch. Ich bestelle eine Tasse Tee und schaue zu, wie sich Brasilien um einen sicher geglaubten Sieg bringt. Die Reaktionen des Pilgers auf die beiden niederländischen Tore verraten seine Nationalität. Er ist so niederländisch wie eine Windmühle. Doch woran hätte ich das auf Anhieb erkennen sollen? Im Unterschied zu allen übrigen Niederländern momentan, Kronprinz und Prinzessin eingeschlossen, trägt er kein Orange. Seine Kleidung ist grau. Alles: Hose, T-Shirt, Pullover. Zwei metallene (aber graue) Ohrringe sind sein einziger Schmuck.
»Hallo! Bist du Niederländer?«, frage ich scharfsinnig.
»Ja.«
»Ich bin Engländerin. Ich gucke auch WM.«
»Ihr wart
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