Ich bin da noch mal hin
bequemen Weg mit »Bänken und Rastplätzen in regelmäßigen Abständen«, der durch vier Dörfer führte, ehe er Mansilla erreichte, wollte ich nicht gehen. Mir war mehr nach der ungezähmten Wildnis der Via Traiana, an der als einziges Dorf Calzadilla de los Hermanillos liegt. Zwei Tassen Kaffee später marschierte ich aus der Bar Estebuca auf die Via Traiana, zuversichtlich, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Das sollte sich als Irrtum herausstellen.
Ich trat auf die breite Straße aus rotem Lehm, die das wilde Grasland des páramo durchschnitt, und ein vielstimmiges Spektakel verleitete mich zu der Fehlannahme, ich hätte einen unterhaltsamen Wegabschnitt vor mir. Muhen und das Summen von Melkmaschinen aus einem Stall machten dem Zwitschern unzähliger auf dem Dach tanzender Spatzen Konkurrenz. Gelber Löwenzahn in Hülle und Fülle und büschelweise weiße Narzissen wuchsen im Gras. Doch noch bevor ich zwei Kilometer weiter die Eisenbahnlinie Palencia-La Coruña überquert hatte, wurden sie vom unvermeidlichen Weizen verdrängt. Bis zu meinem Ziel, der Herberge in Calzadilla de los Hermanillos, blieben nur noch acht Kilometer. Meine einzige Gesellschaft auf der »authentischeren« Via Traiana waren die Marienkäfer, die in Massen den am Weg wachsenden Fenchel umschwirrten, sowie die unsichtbaren Passagiere in den Zügen, die auf der parallel zu meinem Weg, doch nun weiter entfernt verlaufenden Bahnstrecke vorüberrasten.
Vor neun Jahren hatte mich Shelagh von dem bedrückenden páramo abgelenkt, denn von Sahagún aus waren wir zusammen gewandert. Später hatte sie Suppe gekocht, mit Knoblauch, den sie bei dem kleinen Inhaber des kleinen Ladens der kleinen Stadt Calzadilla de los Hermanillos gekauft hatte. Wir waren die einzigen Gäste in der Herberge gewesen, doch die Zweisamkeit hatte verhindert, dass uns die triste Landschaft allzu sehr auf die Seele schlug. Gestern war keine Shelagh da, und mit den vier anderen Pilgern aus Schweden, Irland, Korea und Kanada wurde ich nicht warm. Unsere getrennt und einsam verlaufene Wanderung durch die Ebene hatte uns fast gesellschaftsunfähig gemacht. Wie fern mir meine Freunde aus San Nicolás nun erschienen! Davonlaufen war zu riskant, denn bis Mansilla waren es noch zweiundzwanzig Kilometer zusätzlich. Mein Lozano warnte: »Stellen Sie sich darauf ein, dass es auf dieser Strecke bis Mansilla keine Unterkunft, keinen Schatten, kein Wasser, kein Essen, gar nichts gibt«. Die fett gedruckten Lettern hatten mich so erschreckt, dass ich an diesem Nachmittag blieb, wo ich war. Der kleine Ladenbesitzer, Iutimio, entkorkte für mich eine Flasche Rotwein, doch keiner der Pilger in der Herberge wollte etwas trinken. So ließ ich die halb volle Flasche heute Morgen für die Neuankömmlinge im Kühlschrank stehen. Sie werden ihn nötig haben.
Die quakenden Frösche in den Tümpeln am Wegrand heute Morgen waren nur ein schwacher Trost nach den gestrigen Enttäuschungen. Ich hatte den geselligeren Real Camino Francés gegen eine Teerstraße, einen Kiefernwald, umgepflügte rote Äcker und noch mehr schwankende Getreideähren eingetauscht. Ich ertrage es nicht mehr. Wozu sollen Tage wie dieser gut sein? Überhaupt für irgendwas? Wenn, dann höchstens zum Nachdenken.
»Sie müssen der Natur zuhören. Sie müssen auch sich selbst zuhören. … Man muss auf seinen Körper hören und in sich hineinhorchen, was man braucht.«
Wenn ich jetzt, dem Rat von Schwester María Anunciación gemäß, in mich hineinhorche, merke ich, dass ich ein geselliger Mensch bin und keinesfalls die einsame Route hätte wählen dürfen. Ich habe mich für die Strecke der Wüsteneinsiedler und Einzelgänger entschieden, obwohl es mich nach Gesellschaft und Kaffee verlangt. Der immergleiche Fehler verhindert meinFortkommen im Leben – dass ich aus einem Impuls heraus die falsche Richtung einschlage, ohne mir der Konsequenzen voll bewusst zu sein. Das steht mir an dem Zaun, an dem ich jetzt lehne, so deutlich vor Augen, als stünde es dort angeschrieben.
Ich versuche die Wurzel dieses Teufelskreises auszumachen und komme zu dem Schluss, dass ich eins nie berücksichtige, wenn eine Entscheidung ansteht: Wie ich mich in der gewählten künftigen Umgebung wirklich fühlen werde. Mir einzureden, dass ich in einer städtischen Schule gut zurechtkommen würde, war ein Kinderspiel gewesen. Noch weniger Mühe hatte ich gehabt, mir vorzumachen, es würde einfach sein, den Camino mit dem Fahrrad zu
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